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Amputiert. Der Fluxuskünstler Wolf Vostell verquickte in seinen Skulpturen gern klassische Schönheitsideale mit einer ordentlichen Prise Gesellschaftskritik. Sein Torso „Berlinerin“ (1994) trägt einen Fernseher im Bauch.

© Ronny Budweth

Museum FluxusPlus: Sinn und Form

Das Museum FluxusPlus gratuliert Wolf Vostell zum 85. Geburtstag.

Potsdam - An Düsenjägern konnte sich Wolf Vostell berauschen. 1964 realisierte er ein siebenstündiges Happening. In voll besetzten Bussen erfuhr das interessierte Publikum, wie beweglich die Kunstwelt ist, wurde beispielsweise auf eine Müllhalde oder in ein Schlachthaus gefahren – und eben auch auf einen Flugplatz. Dort heulten die Turbinen dreier Düsenjäger.

Am 14. Oktober dieses Jahres wäre der 1998 verstorbene Künstler 85 Jahre alt geworden. Daran erinnert das Museum FluxusPlus in seiner Ausstellung mit einer Sonderpräsentation von Werken Vostells, die sonst nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind. Darunter ist auch die Skulptur eines Düsenjägers, der in Schräglage auf einem Pianoflügel postiert ist. Starfighter waren in den 1970er- und 1980er-Jahren nicht nur Kampfflugzeuge, sondern auch ein Symbol der Wiederbewaffnung des Nachkriegsdeutschlands. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war die Idee aufgekommen, den zweimaligen Kriegsverursacher Deutschland zu einem Agrarstaat zu machen, nur wenige Jahre später erhielt die Bundesrepublik nun eine veritable Flotte von Kampfflugzeugen, zu der auch der Lockheed F-104 „Starfighter“ gehörte, ein Abfangjäger. Vostell begleitete die Entwicklung der erstarkenden Republik mit experimentellen Kunstwerken, die er als Großskulpturen auf öffentlichen Plätzen anbrachte und die nicht selten harschen Protest hervorriefen. Das Fluxus-Museum zeigt in seiner Schau nun kleine Modelle einiger solcher Skulpturen sowie eigenständige Arbeiten.

Die elf hier gezeigten Skulpturen stammen aus Privatbesitz. Sie offenbaren, dass der Fluxuskünstler nicht nur ein Hans Dampf in allen Gassen war, sondern auch unterschiedliche Genres wie Collage, Malerei und Bildhauerei beherrschte – und auch aufgeschlossen für Klangexperimente war. Zwölf Minuten sollten die Starfighter heulen, dabei „erzeugten sie verschiedene Klänge, die sich überlagerten und somit für das Publikum zum einzigartigen Klangerlebnis wurden“, erläutert der Ausstellungstext.

Vostell wurde 1932 in Leverkusen geboren, überlebte den Krieg im Grenzgebiet zu Tschechien, dem Sudetenland, und pendelte seit 1974 zunächst von Köln, später dann von Berlin aus, in das spanische Dorf Malpartida de Caceres, wo er in einer ehemaligen Wäscherei ein Museum gründete. Die spanische Felslandschaft beeindruckte den Norddeutschen. Das Aufkommen der neu entdeckten Landart tat ihr Übriges, um die Liebe des Künstlers für den Süden Europas zu entflammen. Während dort ein üppiger Garten aus einbetonierten Automobilen, zweckentfremdeten Motorrädern und allerlei Installationen, Gemälden und Zeichnungen entstand, war Vostell auch in Deutschland nicht untätig.

So entstand 1987 zur 750-Jahr-Feier Berlins auf dem Berliner Rathenauplatz die Skulptur „Zwei Beton-Cadilacs in Form der nackten Maja“. Vostell beharrte darauf, dass auch ein Auto, ein Cadilac, die Schönheit der von Goya gemalten Herzogin von Alba haben könne. So postierte er zwei aufrecht stehende Modelle des Fahrzeuges im Mittelpunkt des Kreisverkehrs und betonierte diese ein.

Die Gleichsetzung von Betontonnage und laszivem Frauenmodell konnten viele Berliner nicht so recht nachvollziehen. Auch der mit dem Kreisverkehr zwangsläufig permanent stattfindende Tanz ums goldene Kalb Auto, den Vostell initiierte, provozierte – in einem Land, dessen Industrieproduktion immerhin zu 30 Prozent mittelbar oder unmittelbar mit der Produktion von Kraftfahrzeugen verbandelt ist. Auch mit anderen Skulpturen, die in Miniaturmodellen im Museum zu sehen sind, scheute Vostell nicht vor politischer Positionierung zurück. Bei der Skulptur „Sara-Jevo-Cola“ verbindet er eine Cola-Flasche, Symbol für gedankenlosen Massenkonsum, mit der Miniatur eines Starfigthers und einem Frauenbein.

Bei einer Skulptur, die der Künstler im Jahre 1995 für den damaligen Lehrter Bahnhof, den heutigen Hauptbahnhof, plante, sollten drei Eisenbahnen in einem hoch aufragenden, spitz zulaufenden Kegel in Originalgröße aufgetürmt werden. „Herkules“ ist das Modell der Skulptur betitelt. Was sich nach der üblichen künstlerischen Bezugnahme auf die griechische Antike anhört, birgt Hintersinniges: Herkules war der Name eines Eisenbahnmodells, mit dem ein Großteil der Berliner Juden vermutlich in die Konzentrationslager der Nazis geschafft wurde. Die Berliner Kulturpolitik brachte allerdings nicht den Mut auf, den formal und inhaltlich überzeugenden Entwurf Vostells zu realisieren. Realisiert wurde Jahre später, 2007, ohne Wettbewerb: „Rolling Horse“, eine große Skulptur von Jürgen Goertz, die einem Schaukelpferdes ähnelt.

Vostell war sich seiner künstlerischen Größe durchaus bewusst, sah sich als Fluxuskünstler und auch im Widerstreit mit Salvador Dali, dessen Surrealismus sich manche der Werke Vostells nähern. Das malerische und skulpturale Werk Vostells, das im Museum zu sehen ist, zeigt jedoch den gänzlich anderen künstlerischen Ansatz Vostells. Während der Surrealismus in Traumwelten wandelt, ging es Wolf Vostell um eine kritische künstlerische Auseinandersetzung mit Gegenwart und Politik. Um eine Sinnstiftung durch neue Formen.

„Wolf Vostell zum 85. Geburtstag“, zu sehen bis 8. April 2018 im Museum FluxusPlus, Schiffbauergasse 4 f. Geöffnet Mittwoch bis Sonntag, 13 bis 18 Uhr

Richard Rabensaat

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