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Kultur: „Verriegelte Zeit“ in der Lindenstraße

Dicht gedrängt saßen die Zuschauer, als am vergangener Tage eine neue Veranstaltungsreihe in der Gedenkstätte für die Opfer politischer Gewalt im 20. Jahrhundert in der Lindenstraße 54/55 eröffnet wurde.

Dicht gedrängt saßen die Zuschauer, als am vergangener Tage eine neue Veranstaltungsreihe in der Gedenkstätte für die Opfer politischer Gewalt im 20. Jahrhundert in der Lindenstraße 54/55 eröffnet wurde. Selbst zusätzlich herbeigetragene Stühle konnten dem Ansturm nicht gerecht werden, so dass die Organisatoren – das Potsdam-Museum und das Zentrum für Zeithistorische Forschung – eine baldige Wiederholung versprachen. Zum Auftakt gelangte der Dokumentarfilm „Verriegelte Zeit“ der Regisseurin Sibylle Schönemann, die 1984 selbst in der Lindenstraße inhaftiert war, zur Aufführung.

Fünf Jahre nach ihrem Freikauf durch die Bundesrepublik machte sie sich im Sommer 1990 auf den Weg in ihre frühere Heimat, um den damaligen Ereignissen genauer nachzuforschen. Denn sie hatte zwar die menschenverachtende Justizmaschinerie am eigenen Leib gespürt, kannte aber weder die Namen ihrer Peiniger noch die genauen Hintergründe und Zusammenhänge, die zu ihrer Verhaftung und Verurteilung geführt hatten. Und so erlebten die Zuschauer der Auftaktveranstaltung, wie sich diese Frau, deren Wunden kaum vernarbt sind, auf die Suche nach den Menschen macht, die ihr Leben so nachhaltig beeinflusst und verändert haben. Denn dass das der Fall ist, konnten die Zuschauer fast fünfundzwanzig Jahre danach noch immer deutlich spüren. Sibylle Schönemann war unübersehbar bewegt, als sie nach der Aufführung gefragt wurde, was es für sie bedeutet, dass ihr Film, der 1991 den Bundesfilmpreis errang, zum ersten Mal in der Lindenstraße gezeigt wird.

Als sie sich nach dem Fall der Mauer auf die Suche macht, geschieht das, um erst einmal der eigenen Wut und Verzweiflung über das Geschehene Herr zu werden. Und auch, um die Mechanismen der gerade untergegangenen DDR-Diktatur aufzuzeigen, die an Menschen wie ihr – sie hatte gemeinsam mit ihrem Mann wegen Behinderung ihrer künstlerischen Tätigkeit einen Ausreiseantrag gestellt - ein Exempel statuieren wollte. Die ehemalige DEFA-Regisseurin trifft unter starker innerer Anspannung – „ich hatte große Angst vor den Begegnungen“, bekennt sie in der Diskussion – sowohl ihre ehemaligen Vernehmer, Richter und Rechtsanwälte als auch frühere Vorgesetzte, ehemalige Stasioffiziere und nicht zuletzt ihre damalige Zellengenossin. Mit der verbindet sie bis heute eine enge freundschaftliche Beziehung, mit den anderen Protagonisten war oft nur in rudimentären Ansätzen ein „Gespräch“ möglich. Und es erschütterte auch mit dem Abstand von fast zwei Jahrzehnten noch, zu sehen, mit wie viel Arroganz der Macht, welcher kalten Menschenverachtung und nahezu unheimlichen Verantwortungslosigkeit die Täter ihrem früheren Opfer begegneten.

Die neue Veranstaltungsreihe der Gedenkstätte mit dem Titel „Menschen unter Diktaturen“ will die bedrückende Kontinuität der Willkür beider deutscher Diktaturen vor allem anhand persönlicher Schicksale aufzeigen. Mit dem Eröffnungsfilm von Sibylle Schönemann ist dies eindrucksvoll gelungen, wie auch andere ehemalige Inhaftierte, die sich ebenfalls im Publikum befanden, stark berührt bestätigten. Die im April folgende Veranstaltung wird sich mit dem Thema Strafjustiz im Nationalsozialismus, die im Mai stattfindende mit widerständigem Verhalten im DDR-Militär befassen.Astrid Priebs-Tröger

10. April, 19 Uhr: Buchvorstellung und Gespräch: „Strafjustiz im Nationalsozialismus“

Astrid Priebs-Tröger

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