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Potsdam-Mittelmark: Rebell der Worte

Rainer Brandt machte das Fernsehen witzig. In Kleinmachnow synchronisierte er 200 Filme und Serien

Kleinmachnow - Rainer Brandt sagt „Guten Tag“. Es hätte auch anders kommen können. Er hätte zur Begrüßung auch sagen können: „Na Meisterchen, schon frisch im Schritt.“ Oder er hätte befunden: „Du siehst gut aus. Heute schon gekotzt?“ Immerhin ist Rainer Brandt dafür bekannt, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt.

Sein freches Mundwerk hat ihn erfolgreich gemacht. Als Synchronsprecher, deren Namen man frühestens liest, wenn ein Film zu Ende ist, hat Brandt es zu Kultstatus gebracht, wie es sonst nur Hauptdarstellern gelingt. Er hat Elvis seine Stimme gegeben und Tony Curtis. Terence Hill macht im deutschen Fernsehen nur deshalb so coole Sprüche, weil Rainer Brandt für ihn spricht. Und Pierre Richard, der große Blonde mit dem schwarzen Schuh, ist überhaupt erst der erfolgreiche Tollpatsch geworden, weil Brandt ihn bearbeitet hat: Um die deutschen Dialoge, die Brandt für den Franzosen schrieb, komisch wirken zu lassen, wurde der gesamte Schnitt der Filme verändert. „Durch mich ist Pierre Richard zum Star geworden“, sagt Brandt. Er sagt das völlig unaufgeregt, vielleicht, weil es eine Weile her. Oder, weil es ihm wichtiger war, was er spricht – nicht für wen.

Ein markiger Spruch zur Begrüßung hätte also nicht überraschen dürfen. Doch hier, im lauschigen Garten der Bäkemühle, ist Brandt zunächst erstmal entzückt von der Wirkung des Ortes, der einst den Ursprung Kleinmachnows markierte. Dass die Bäkemühle derzeit geschmückt ist mit Porträts zahlreicher Hollywood-Schauspieler, macht den Rückkehr in die Gegenwart leicht. Eine Aufnahme zeigt Sean Connery, wie er den Finger hinters Ohr legt als wolle er genau hören, was gesprochen wird. Schließlich war es Brandt, der Amerikas Filmstars deutsche Texte sagen ließ, „die zwar auch auf die Schnauze passten“, aber mitunter besser und witziger waren als die Originale. Als Anfang der 70er Jahre das eher dröge und lahme Original der Serie „Die Zwei“ von Brandt und seinem Freund Karlheinz Brunnemann synchronisiert werden sollte, verpassten sie den Hauptfiguren Roger Moore und Tony Curtis soviel Witz, dass die Serie zum Kult wurde.

Brandt ließ die Worte rebellieren. „Wir hielten uns für die Größten“, erinnerte er sich einmal in einem Interview. Es war Zeit, für das „unkomische und langweilige Fernsehen“ einen Aufstand der Sprache anzuzetteln. Für Brandt war es die Sprache des Volkes, die ins Fernsehen sollte. „Niemand spricht fertig konstruierte Sätze. Man muss sich in die Kneipe setzen und hören, wie die Leute reden.“ Und so habe er Filme und Serien synchronisiert. Vom „Siegeszug für Schnodderdeutsch“ schreiben die Medien noch heute allzu gern, wenn von Serien wie „Jason King“, „Ihr Auftritt, Al Mundy“ oder „Die Zwei“ die Rede ist. Brandt gab der schwermütigen deutschen Sprache eine Leichtigkeit, wie man sie lange Zeit nicht für möglich hielt. Ein Mix aus „Berlinism, jiddisch, ein bisschen Unterwelt und etwas Gosse. Viel Humor und etwas Phantasie“. So hat er es einmal beschrieben.

Dass er eine markante Stimme hat, „habe ich selbst gemerkt“, sagt Brandt. Dass er die Schauspielschule besuchte und „gleich an den großen Theaterhäusern in Berlin“ auftrat, erzählt sich daher fast von selbst. Als der Film ins Fernsehen kam, habe er sich gefragt: „Was ist synchron?“ Er schlenderte nach Lankwitz in die Mosaikfilm-Studios, wo ihn Alfred Vohrer, der die Regie für die Edgar-Wallace-Filme führte, ins Atelier bestellte und für „Knock on Any Door“ mit Humphrey Borgart ein paar Sequenzen sprechen ließ. Brandt konnte es. Er begann, erste kleine Rollen zu synchronisieren. Doch seine erste große bekam er bei der Defa. Für die schwere Stimme eines russischen Offiziers in „Wenn die Kraniche ziehen“ war Rainer Brandt genau der Richtige. Der Film bekam 1958 in Canne die Goldene Palme und Brandt amüsierte sich: „Da mussten sie einem vom Klassenfeind holen, um einen Russen sprechen zu lassen.“ Und im Westen meinten sie neidisch: Mach doch hier auch mal was! Und Brandt machte: Er synchronisierte die meisten Elvis-Filme, sprach John Lennon und Jean-Paul Belmondo, Marlon Brando und Rock Hudson. Er spielte selbst in etlichen Filmen mit, schrieb Drehbücher und Dialoge. Und er gründete sein eigenes Synchronstudio.

Vor elf Jahren zog Brandt mit seiner inzwischen 25-jährigen Filmproduktionsfirma nach Kleinmachnow. In dem Haus, das er in der Medonstraße kaufte, hatte die Defa lange Zeit ihre Dokumentarfilm-Abteilung – gut abgehört und kontrolliert von der Staatssicherheit. Als Brandt die Villa zum Synchronstudio umwandeln ließ, fand man in einem stillgelegten Aufzugsschacht einen dicken Kabelstrang – Abhörleitungen, die an einer eigenen Stromversorgung hingen. Brandt erzählt die Episode mit ungläubigem Kopfschütteln.

Wo früher eifrig gelauscht wurde, wird heute gesprochen. Zahlreiche der gut 150 Filme und 50 Serien, die im Auftragsbuch von „brandtfilm“ stehen, wurden in Kleinmachnow synchronisiert. In der Medonstraße 20 wird bestimmt, was Film- und Serienstars zu sagen haben. Hier wurde die amerikanische Fernsehserie „Hogan“s Heroes“, die zunächst im deutschen Fernsehen floppte, so umgeschnitten, dass die Szenen der deutschen Synchronisation angepasst wurden. „Ein Käfig voller Helden“, so der deutsche Titel, spielt in einem deutschen Kriegsgefangenenlager im Zweiten Weltkrieg, produziert wurde das Original von 1965 bis 1971. Brandt nutzte die Bilder nur als Korsett und schrieb das Drehbuch komplett um. So erfand man bei „brandtfilm“ die Haushälterin Kalinke, die nachts bei Lagerleiter Klink persönlich putzt, nackt wohlgemerkt. Sie ist in keiner Folge zu sehen, wird aber immer wieder erwähnt und von Klink liebkosend „meine Schlampe“ genannt. Ein Kunstgriff, so frech wie schön, denn im amerikanischen Original kommt die Putzfrau überhaupt nicht vor. Inzwischen ist die Serie in Deutschland ein Hit, was sogar in Amerika verblüfft: „Wer ist der Mann, dem es gelingt, mit einem derart sensiblen Thema so humorvoll umzugehen?“ fragte das New Yorker Wall Street Journal auf der Titelseite.

Brandt, der 1937 in Berlin geboren wurde, ist dreisprachig aufgewachsen. In seinem Elternhaus wurde englisch, französisch und spanisch gesprochen. „Das ist für alle Zeiten drin.“ Daher verstand er eher als so mancher Dialogregisseur, was den Wert oder die Schwäche eines Originals ausmachte. Keine spießigen und verkrampften Eins-zu-Eins-Übersetzungen wollte Brandt für seine Synchronisationen, sondern das Unbefangene und Witzige. Mit seinem „Schnodderdeutsch“ und coolen Sprüchen wuchs eine ganze Jugendgeneration auf. Doch reduziert Brandt Sprache keinesfalls zu einer simplen Schnoddrigkeit ohne Konventionen. „Sprache“, sagt er, „ist ein Werkzeug, ein Arbeitsinstrument. Sie kann sich zu einer Kunstform wandeln, wenn man mit ihr spielt, mit ihr jongliert.“ Und wenn man sie pflegt. Früher tat er das mit „hektoliterweise Whisky und schwarzen französischen Zigaretten“. Inzwischen pflegt Brandt, der Rebell der Worte, einen schonenden Umgang seiner Sprache. „Raucher bin ich schon seit Jahren nicht mehr.“

Die nachhaltigste Wirkung seiner Worte bekam Brandts Schauspielkollegin Ursula Heyer – die deutsche Stimme von Joan Collins aus dem Denver Clan – zu spüren. Sie spielten gemeinsam im Theater am Ku“Damm als Brandt ihr erklärte: „Zier dich nicht, ich heirate dich sowieso.“ Brandts Sympathiebekundung klang wahrscheinlich ganz „Locker vom Hocker“. Aber es war nicht nur so dahingesagt: Sein Ja-Wort gilt seit 45 Jahren.

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