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Potsdam-Mittelmark: Unsinn vom Werderschen Galgenberg

Ein ausgelassener Abend des Heimatvereins auf den Spuren von Christian Morgenstern

Ein ausgelassener Abend des Heimatvereins auf den Spuren von Christian Morgenstern Werder - Hatte das Volk der Havel-Werderaner in Vorzeiten seine Gerichtsbarkeit auch stets im Ort - auf dem Werder, wie man Inseln hier nennt – so war die Richtstatt doch nach altem Brauche außerhalb. Wie zur Abschreckung sah man, von ferne über die Havel, den grausigen „Baum“ oder Galgen auf gleichnamigem Berg, wo auch Christian Morgenstern kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert mit sieben Freunden namens „Verreckerle“, „das Gespenst“ oder „Veitstanz“ zu „tückischem Obstwein“ sein Unwesen trieb. Seine „Galgenlieder“ (1905) standen jüngst, weil vom Werderaner Marketing ganz unentdeckt, im Zentrum einer geradezu ausgelassenen Veranstaltung des örtlichen Heimatvereins im Hotel zur Insel, auf urhistorischem Grunde. Man hatte es in jeder Hinsicht mit einer Gemeinschaftsproduktion der für Werder glühenden Mitglieder zu tun: Unter Leitung von Baldur Martin wurde aufs Genaueste recherchiert, Inge Speth und Hans-Joachim Prütz erhoben persönlich ihre Stimmen, um Morgensterns (1871-1914) Vita – sein Leben war von einer schweren Kindheit und einer Lungenkrankheit überschattet – und weitere Begebenheiten mitzuteilen. Andere rezitierten aus dem mehr als siebzig Köpfe zählenden Publikum heraus Gedichte von Möwen, die mutmaßlich allesamt Emma hießen, der Rehlein Nachtgebet und anderes, wobei man größten Wert darauf legte, alles was „Werder“ betraf, besonders zu betonen. Dazu gab es Video- und Foto-Projektionen, Stimmen (hochinteressant „Fisches Nachtgesang“) aus dem Off. Das Lied „Galgenberg“ mit den kecken Zeilen „Blödem Volke unverständlich/treiben wir des Lebens Spiel...“ sang die ganze Runde gemeinsam: Text „Rabenaas“ alias Morgenstern, Melodie „Freude schöner Götterfunken“, Beethoven, klar. Vorn saß selbiger Galgenvogel als Puppe neben den Vortragenden, über ihm ein Rabe auf“m Galgen – der Schuhu. Von Ringelnatz kein Satz. Als ob es der Einfälle noch nicht genug wären, zierten die Wände des Hotel-Konferenzraumes vier in Styropur-Medaillons gefasste Darstellungen rund um das Galgenbuch, etwa „Fisches Nachtgesang“ als Reprint und ein Porträt des Dichters, wörtlich aus dem Rahmen fallend. Zu einer echten Versteigerung dieser von Horst Bertz („Werderaner Urgestein“) erschaffenen Bilder kam es allerdings nicht, der Freundeskreis Bismarckhöhe erwarb die Kunst zugunsten der Vereinskasse wie im Nu, helle Freude in den Gesichtern. Damit ist auch klar: der Galgenberg ist die heutige Bismarckhöhe, umbenannt 1896/97, weil sich der damalige Restaurantbesitzer vom Namen des eisernen Fürsten bessere Geschäfte versprach. Die Bruderschaft, keiner älter als 30, saß freilich separat auf einer später abgetragenen Aufschüttung, verborgen hinter einem Fliederbusch. Nur ihr ausgelassenes Lachen dröhnte zu den normal-sterblichen Baumblüten-Besuchern herüber. Beim „Abgraben“ habe man, so Baldur Martin, manch“ zerbrochenes Glasgefäß der lauten Zecher gefunden. Ihr Motto leitete auch dieses „Werderaner Gespräch“: „Galgenlustigkeit. Angesichts des Todes das einzig Sinnvolle tun, Unsinn verbreiten“. Aber so einfach war das gar nicht, Morgensterns Texte brauchen beim Rezitieren wohl genau diesen Geist, und man muss wohl auch sehen, wie wenig die 100-jährigen Geniestreiche (seine „ernsthafte Lyrik“ wurde nie anerkannt) den heutigen Doof-Blödeleien gleichen. Auf Anfrage und Wunsch wird dieser wunderliche Abend gerne wiederholt.

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