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Ein Radrennen an der Schule am Pappelhof im Rahmen ihres Special Olympics Programms.

© David Heerde für den Tagesspiegel

„Sehen, dass es möglich ist“: Wie eine Berliner Förderschule die Special Olympics erlebt

Besuch bei der Eröffnungsfeier, Auftritt am Neptunbrunnen, tägliches Sportprogramm – die Schule am Pappelhof hat die Spiele zu ihrem Fest gemacht. Ein Besuch.

Von Colin Ivory Meyer

Die Schule am Pappelhof liegt zwischen Einfamilienhäusern mit üppigen Gärten – nur die Plattenbauten in der Ferne, die hinter den Bäumen hervorragen, verraten, dass man in Marzahn-Hellersdorf ist. Seit 25 Jahren widmen sich hier Pädagogen und Betreuer der Bildung von geistig behinderten Schülerinnen und Schülern. Zu den Special Olympics, die dieses Jahr erstmals in Berlin stattfinden, veranstalten sie eine Projektwoche, um den Flair an die Schule zu holen.

Schüler besuchten die Eröffnungsveranstaltung, helfen zusammen mit Lehrkräften als Freiwillige mit und treiben täglich an der Schule Sport. Sie werden von einer Sportgruppe aus England besucht, traten mit ihrem Schulsong auf dem begleitenden Festival am Neptunbrunnen auf und bejubelten als Animateure ein Basketballspiel.

Anja Germer leitet die Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung. Die Kinder und Jugendlichen hier brauchen deutlich länger, um Grundlegendes zu erlernen. In den Klassen sitzen zwischen sechs und zehn Schüler, die von Sonderpädagogen, Unterrichtshelfern und Erziehern betreut werden. In den flachen Gängen trifft man vor allem auf Erwachsene – niemand scheint es eilig zu haben.

Anja Germer leitet die Schule am Pappelhof. Sie sieht die Special Olympics als eine Chance, die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung zu verbessern.
Anja Germer leitet die Schule am Pappelhof. Sie sieht die Special Olympics als eine Chance, die Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung zu verbessern.

© David Heerde für den Tagesspiegel

Der Rahmenlehrplan zielt nicht darauf ab, die Schüler auf einen Schulabschluss vorzubereiten, sondern ihnen ein möglichst selbständiges Leben zu ermöglichen. Auf dem Stundenplan stehe nicht nur Lesen und Schreiben, sondern auch Kochen, Waschen und Hygiene, erzählt Germer. Es gibt ein Therapiebecken, Pflegebäder sowie Wohnungen, in denen die Kinder Haushaltsführung lernen sollen. Klassische Schulklassen nach Jahrgängen, Zensuren oder eine Pausenklingel sucht man hier vergeblich. Stattdessen findet man einen schuleigenen Bienenstock und einen Kaninchenstall, die die Schüler pflegen.

 Um in der freien Wirtschaft unterzukommen, braucht es einen Abschluss. Das haben wir nicht und es ist auch nicht vorgesehen

Anja Germer, Schulleiterin

Nachdem sie Pappelhof verlassen, arbeiten viele Schüler in Behindertenwerkstätten. Diese stehen wegen schlechter Bezahlung und fehlender Inklusion immer wieder in der Kritik. Aber: „Um in der freien Wirtschaft unterzukommen, braucht es einen Abschluss. Das haben wir nicht und es ist auch nicht vorgesehen“, sagt Germer.

Die älteren Schüler machen Praktika, um die Werkstätten oder andere Betriebe kennenzulernen. Germer erzählt von einem Schüler, der in einer Straßenbaufirma tätig war und nach seinem Praktikum halbtags weiterarbeite – mit der Chance, übernommen zu werden. „Wir können uns unsere Schüler auch wunderbar in sozialen Berufen vorstellen“, sagt sie. Eine Schülerin hätte sich unglaublich liebevoll um Kindergartenkinder gekümmert.

Germer findet es schade, dass die Schülerin, weil sie keine Möglichkeit auf einen Abschluss hat, die Erzieherlaufbahn nicht anstreben kann. Von der Politik fordert sie, die Voraussetzungen für den Eintritt in den freien Arbeitsmarkt zu senken. Das Augenmerk solle dabei auf die Fertigkeiten und Charaktereigenschaften, die jemand mitbringt, gelegt werden – und nicht auf Zensuren.

Gesellschaftliche Ängste und Unsicherheiten

Dass sich viele Schüler schwertun, liege auch an „Ängsten und Unsicherheiten, wenn man nicht an den tagtäglichen Umgang mit behinderten Menschen gewöhnt ist“, sagt Germer. Während der Special Olympics jedoch sind, Menschen mit Behinderung im Berliner Stadtbild sehr präsent. Überall laufen violett gekleidete Volunteers und unterschiedliche Sportteams herum, fast alle tragen um den Hals ihren Teilnehmerausweis.

Germer spricht von einer neu gedachten Inklusion: „Wir müssen uns öffnen. Wir müssen raus.“ Sie beobachte, dass es vielen Menschen ohne Beeinträchtigung schwerfalle, auf Menschen mit Beeinträchtigung zuzugehen. „Wir müssen es andersherum machen“, sagt sie. Von den Spielen erhofft sie sich, dass die Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht wird, dass geistig behinderte Menschen mit Unterstützung in allen Teilen der Gesellschaft teilhaben und ihren Beitrag leisten können. Gleichzeitig „sollen die Schüler sehen, dass es möglich ist“, sagt sie.

Isana besucht die Schule. Sie träumt von einer Teilnahme an einem Laufwettbewerb bei den Special Olympics.
Isana besucht die Schule. Sie träumt von einer Teilnahme an einem Laufwettbewerb bei den Special Olympics.

© David Heerde für den Tagesspiegel

In einem Pausenraum, der an einen Klassenraum anschließt, sitzen Schüler und ihre Betreuer und essen zu Mittag. Unter ihnen John: Der Fünfzehnjährige spielt Fußball, ist Dortmund-Fan und verehrt den norwegischen Fußballer Erling Haaland. Das Einlaufen der Nationen ins Olympiastadion hat ihn beeindruckt – nun will er auch mal bei den Special Olympics mitmachen. Die 17-jährige Isana macht Leichtathletik, auch sie wäre gerne mitgerannt.

Maria, die gegenübersitzt, geht es genauso. Auf Fragen antworten alle meist einsilbig – aus Schüchternheit. Eine Betreuerin erzählt, dass Maria nach der Eröffnungsfeier die halbe Nacht nicht schlafen konnte, weil sie so viel zu erzählen hatte. Maria lächelt verlegen.

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