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An der Alten Försterei

© dpa

1. FC Union: Arbeitsurlaub in Köpenick

In ihrer Freizeit haben 2000 Fans des 1. FC Union die Arena für die Zweite Liga hergerichtet – ihr Einsatz findet weltweit Beachtung.

Von Katrin Schulze

Berlin - Es knallt und donnert. Als Egbert Labs seine Drahtbürste an der Eisenstrebe zum x-ten Mal neu ausrichtet, ist er von Lärm umgeben. Bagger, Hämmer und Sägen, alles dröhnt durcheinander. Wenigstens regnet es jetzt nicht mehr an diesem kühlen Frühlingstag, „vorhin hat es ja noch wie aus Kübeln jeschüttet“, sagt Labs. Den großen, schlanken Mann beeindrucken die äußeren Umstände aber nur wenig – harmlos sind sie im Vergleich zu dem, was er an dieser Stätte schon alles erlebt hat. An diesem trüben Tag ackert er mal wieder im Stadion An der Alten Försterei; und wieder kümmert er sich penibel um seine Aufgabe. Liebevoll raut er einen von vielen Wellenbrechern auf der Stehplatztribüne an, seine Akribie würde jedem Arbeitgeber ein zufriedenes Lächeln ins Gesicht zaubern.

Heute hat Egbert Labs seine Arbeit vollendet. Dabei hatte er hier gar keinen Arbeitgeber. Jedenfalls nicht offiziell. Der drahtige 48-Jährige war einer von etwa 2000 Freiwilligen, die die Heimspielstätte des 1. FC Union renoviert haben. Warum er das gemacht hat? Labs guckt verwundert. „Ist doch klar“, antwortet er und schmunzelt. „Einmal Unioner, immer Unioner.“ So lautete das Motto auf der individuellsten Baustelle Deutschlands. Mehr als ein Jahr lang schufteten die Unioner hier, um ihrem Klub ein Stadion zu bauen; eines, das den Auflagen der Deutschen Fußball-Liga entspricht. Wegen Sicherheitsmängeln drohte dem Köpenicker Traditionsklub im vergangenen Jahr die Schließung der Alten Försterei. Eine Sanierung konnten weder das Land Berlin noch der Verein tragen. Union erhielt durch das zuständige Bezirksamt lediglich einen Baukostenzuschuss von 600 000 Euro, der Rest lag beim Klub – und seinen Anhängern. Die dürfen ihr in Eigenregie renoviertes Stadion heute mit dem Spiel ihres Teams gegen Hertha BSC (20.30 Uhr, live im RBB) eröffnen.

Dass die Köpenicker Fans im eigenen Stadion 40 000 Arbeitsstunden im Wert von zwei Millionen Euro verrichtet haben, weckte weltweites Interesse: Reportern aus Italien, Spanien, der Ukraine und sogar Japan war diese einzigartige Aktion ein Bericht wert. Viel zu viel Bohei, wenn es nach Labs geht. Er hält es für selbstverständlich mit anzupacken, ist er dem Klub doch schon seit zehn Jahren treu. „Ich sehe das nicht als Job“, sagt Labs. „Das ist ein verrücktes Hobby.“ Und wie es sich mit Hobbys so verhält, bekam er gar nicht genug von seiner Baustelle. Zu Hause rumsitzen? Das hielt er nicht lange aus. So oft es ging, half er. Alle möglichen Aufgaben hat Labs in seinem Blaumann hier bewältigt, in fast jedem Teil des neuen Stadions wird ein Stückchen seiner Liebe stecken.

An einem Tag kurz vor der Eröffnung: Egbert Labs stoppt nur kurz sein sorgfältiges Geschrubbe, wischt sich mit dem Unterarm über die Stirn und schaut auf. „Wenn ich mich hier so umsehe und daran denke, wie es noch vor ein paar Monaten ausgesehen hat, ist es Wahnsinn, was hier geleistet wurde“, erzählt er. Mehr Zeit für Sentimentalitäten bleibt ihm nicht, denn er muss sich wieder seinem verrückten Hobby zuwenden. „Das soll alles noch fertig werden.“

In seinem normalen Leben ist Labs Krankenpfleger im Schichtdienst. Manchmal kam er gegen Mitternacht nach Hause und trat nur ein paar Stunden später zur nächsten Schicht in der Alten Försterei an. Das Prozedere war dann immer gleich: Um sieben Uhr morgens meldete er sich zusammen mit den anderen Helfern bei Projektleiterin Sylvia Weisheit an, die die Freiwilligen in der Regel in sechs verschiedene Bautrupps einteilte. Dann wurde gewerkelt und getüftelt – bis irgendwann eine zielgerichtete Massenbewegung einsetzte: Wie Ameisen kamen die Helfer immer um zwölf Uhr aus allen Ecken des Stadions zusammen, um sich in einem Zelt zum Mittagessen zu treffen.

Mittagspause auch für Egbert Labs: Er selbst folgt dem Rest erst etwas später, weil er keine Lust hat, sich anzustellen. „Diese Tricks lernt man mit der Zeit“, erzählt er. In seiner Pause legt Labs diesmal noch einen Stopp in der Geschäftsstelle ein, wo er sich eine Dauerkarte für die kommende Saison holt. „Einmal Gegengerade bitte“, sagt er und schiebt seine EC-Karte über den Tresen. Dann geht’s weiter zur Arbeit in der Freizeit. Zur Stärkung gibt es später noch Kaffee und Kuchen. „Als es kalt war, hatten sie für uns auch Kakao. Bei Hitze gab’s ein Eis“, sagt Labs.

Wenn er über seine Baustellenerlebnisse der vergangenen Monate berichtet, gerät der Familienvater ins Plaudern. Es gab Tage, an denen nur 20 Arbeiter den Weg in die Försterei fanden – meist als es kalt war, minus zehn Grad und weniger. An anderen Tagen kamen wieder 90 Freiwillige. Selbst zwischen Weihnachten und Neujahr bildeten sich bei der Anmeldung morgens lange Schlangen. Und dann war da noch die Geschichte mit dem Graben vor dem Stadion: 15 Stunden lang haben sie bei strömendem Regen „wie die Wahnsinnigen gebuddelt und immer wieder fiel das Ding in sich zusammen“. Als es gegen 22 Uhr geschafft war, brachte Union-Präsident Dirk Zingler persönlich eine Kiste Bier vorbei. „Das war ein ganz besonderer Moment“, erzählt Labs. „Es ging ein bisschen zu wie in einer richtigen Familie.“ Eine Familie, die sich aus den unterschiedlichsten Schichten zusammensetzt: Der Doktor arbeitet neben dem Maler, der Hartz-IV-Empfänger hämmert zusammen mit dem Akademiker.

Seine eigentliche Familie musste in den vergangenen Monaten oft auf Egbert Labs verzichten. Die Hälfte seines Urlaubs hat er auf der Köpenicker Baustelle verbracht. „Meine Familie verzeiht mein Fehlen, schließlich sind wir alle Unioner“, sagt er. In den letzten Wochen arbeitete Labs noch ein bisschen häufiger als sonst, denn er wurde gebraucht – mehr denn je. Zuletzt, als der Klub eine neue Firma mit der Dachkonstruktion beauftragte, bangten sie hier alle um die pünktliche Fertigstellung ihrer Heimspielstätte. Eine Anspannung, die auch an den Arbeitern nicht spurlos vorüberging, wie der Krankenpfleger beobachtet hat: „Je näher der Eröffnungstermin gerückt ist, desto gereizter wurden die Leute. Aber nur, weil sie alles perfekt machen wollen.“ So perfekt wie der Aufbauhelfer Egbert Labs.

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