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Sport: 1. FC Union: Spiel ohne Grenzen

"Die Mauer muss weg, die Mauer muss weg!" Dieser Schlachtruf hallte einst durch die Alte Försterei, bei jedem Heimspiel des 1.

"Die Mauer muss weg, die Mauer muss weg!" Dieser Schlachtruf hallte einst durch die Alte Försterei, bei jedem Heimspiel des 1. FC Union. Die Fans aus Köpenick waren in der DDR für diesen Spruch berühmt. Denn die Mauer stand damals noch - mitten in der Stadt. Auch auf dem Spielfeld gab es manchmal eine Mauer. Sie wurde von Spielern gebildet, wenn es Freistoß gab. Eine normale Sache. Und diese normale Mauer hatten die Fans doch gemeint. Oder?

Im Sozialismus war der 1. FC Union Berlin ein Sonderling. Real existierend, aber nur geduldet. Geschichten darüber erzählen sich die Fans heute noch. Sie hatten ein lumpiges Stadion und sie wurden oft benachteiligt - durch Deligierungen von Spielern und durch Schummeleien der Schiedsrichter. Sie hatten nicht annähernd den Erfolg des verhassten Stasi-Klubs BFC Dynamo. Und doch bot Union etwas, wonach sich viele sehnten. Ein kleines Stück Andersartigkeit, ein klein wenig Freiheit. Den Ruf mit der Mauer hörte man nur hier. Und die Freundschaftsgesänge auf die West-Berliner Hertha auch.

Heute gibt es noch Mauern auf dem Spielfeld, der Rest ist Geschichte. Union hat den Aufstieg in die Zweite Bundesliga geschafft und debütiert im Europapokal - nach mehrern vergeblichen Aufstiegsfeiern hat die rot-weiße Wehmut ein Ende. Union ist wieder wer, und mithin Berlins ganzer Osten. Der West-Rivale Tennis Borussia, bei den Fans so verhasst wie einst der BFC, liegt am Boden. Vor den Köpenickern steht nur noch Hertha BSC. Kann sich Union jetzt als Nummer zwei im vereinten Berlin etablieren? Diese Frage beschäftigt den Verein vor dem Saisonstart am Montag. Eine Zukunftsfrage.

"Nummer zwei - das ist unser Ziel", sagt Präsident Heiner Bertram. Er weiß, dass Union immer noch ein Ostverein ist. Beim Derby gegen Hertha am vergangenen Sonntag kamen kaum Zuschauer über die alte Grenze. Bertram denkt, dass viele West-Berliner denken, auf der anderen Seite gebe es nur Randale. "Fragen Sie mal in Ihrem Freundeskreis, wer von denen drüben essen geht", sagt Bertram. Und merkt gar nicht, dass ihm selber das Wort rausrutscht: Drüben.

Die Ostkarte allein reicht nicht. Bertram setzt auf einen weiteren Trumpf: den "Klub zum Anfassen". Er will ein enges Verhältnis von Spielern und Zuschauern, er will "ehrlichen Fußball". Hier hätte Union eine Chance, sich gegen Hertha zu behaupten - einen Klub, der vor lauter Millionenstars und Champions-League-Träumen um Bodenhaftung kämpft. Doch mit Erfolg kommt Professionalität, auch bei Union. Die Saisoneröffnung am Freitag fand in der Brauerei eines Sponsors statt, nicht auf dem Trainingsgelände. Die Macher des Stadion-Programms warnen: "Die da oben denken nur ans Geld." Manche Fans gehen seit Jahrzehnten zu Union, wie selbstverständlich. Plötzlich lesen sie, dass ihr Klub Kult sein soll. Das verkauft sich besser. "Wer Kult ist, braucht nicht drüber reden", grummeln die "Programmierer" vom Stadion-Magazin. Tino Czerwinski, früher Mitglied im Fanrat, wird deutlicher: "Uns droht eine Herthanisierung."

Beim Konkurrenten Hertha stoßen solche Töne sauer auf. "Wir machen genauso ehrliche Arbeit", ärgert sich Herthas Sprecher Hans-Georg Felder, "bei uns haben die Spieler nach dem Abpfiff auch dreckige Trikots." Die Herthaner wollen sich nicht in die Ecke der abgehobenen Reichen drängen lassen. So einfach ist das auch nicht. Denn Erfolg macht sexy. "Ich gehe inzwischen lieber zu Hertha", sagt etwa Florian Hinze. Der 26-jährige Pankower fuhr früher als Junge immer zur Alten Försterei, mit einem rot-weiß gestrickten Schal von seiner Oma. Heute genießt er die Atmosphäre im Olympiastadion mit Zehntausenden Zuschauern und brasilianischen Fußballstars. Einen Hertha-Schal will er sich zwar nicht kaufen. Aber bei Union schaut er in Zukunft nur vorbei, wenn "die in der Zweiten Liga oben mitspielen".

Die Ansprüche sind gestiegen, besonders beim jungen Publikum. Kult ist die eine Seite, Attraktivität eine andere. "Wir müssen Bewusstsein für uns wecken", meint Jens Trohn vom Union-Marketing. Die Werber konzentrieren sich auf einen Sponsorenpool kleinerer Firmen aus Köpenick und Treptow. Die großen Unternehmen - wie Trikotsponsor BSR oder die Bewag - kommen sowieso, wenn Erfolg da ist. Immerhin 60 Geldgeber hat Union an sich gebunden. "Wir sind ein aufstrebender Verein", sagt Trohn. Vielleicht lässt sich damit am besten werben.

Und wann ist Union im Bewusstsein angekommen? Und wann im Westen? "Das dauert noch zehn Jahre", sagt Lorenz Funk. Der Eishockey-Manager von den Berlin Capitals weiß, wovon er redet. Er selbst hat jahrelang versucht, die Eisbären aus der ostdeutschen Nische zu führen. "Viele Sponsoren haben im Osten Schiffbruch erlitten", erzählt Funk, "die sind jetzt vorsichtig." Und die Fans singen immer noch DDR-Lieder. Beim Berliner Publikum gibt es unsichtbare Grenzen. Auch Funk war mal in der Alten Försterei - "aber das ist fast ein Jahr her".

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