zum Hauptinhalt
Gut gelaufen. Hachico mit Michael Cadeddu gewann am Sonnabend in Hoppegarten den Preis des Brandenburger Tor.

© Frank Sorge / galoppfoto.de

125. Große Preis von Berlin in Hoppegarten: Immer diese Geschichte

In Hoppegarten wurde am Sonntag der 125. Große Preis von Berlin ausgetragen. Die Rennbahn fasziniert aber nicht nur wegen der Historie.

Von Johannes Nedo

Während der Wallach Hachico souverän das erste Rennen gewinnt, hat Gerhard Schöningh mal eine kurze Pause. Mit einem Fernglas um den Hals steht er am Samstag auf der Haupttribüne in Hoppegarten, notiert sich den Sieger in seinem Programmheft und nickt anerkennend. Doch danach geht es für den Besitzer der Galopprennbahn sofort weiter. Er schüttelt Hände, wechselt freundliche Worte und ist ständig unterwegs zwischen Führring und Siegerehrung. Er müsste das nicht tun. Aber er will zeigen, auch der Besitzer bringt sich voll ein. Schließlich geht es hier wieder um etwas Besonderes.

An diesem Wochenende begeht die Rennbahn in Hoppegarten erneut ein Jubiläum. Im Rahmen des erstmals ausgetragenen zweitägigen Grand-Prix-Meetings wird am Sonntag zum 125. Mal der Große Preis von Berlin stattfinden (ab 14 Uhr). Es geht also wieder geschichtsträchtig zu auf der Galopprennbahn 20 Kilometer östlich von Berlins Zentrum, wobei die Historie im Zusammenhang mit Hoppegarten immer eine Rolle spielt. 1868 wurde die Rennbahn von König Wilhelm I. und Otto von Bismarck eröffnet, in den 1920er und 30er Jahren stieg sie zur wichtigsten in Deutschland auf, zu DDR-Zeiten war sie ein Volkseigener Betrieb (VEB). Und nun? Mittlerweile ist Hoppegarten wieder auf dem Weg zurück zu altem Glanz. Langsam zwar, aber jedes Jahr ein bisschen mehr.

Dafür gibt es viele Gründe. Und es sind einige, sehr unterschiedliche Personen daran beteiligt, den Ruf Hoppegartens wiederzubeleben und zu erneuern. Was sie alle eint, ist die Faszination für diese Rennbahn. Auf der Suche danach, warum Hoppegarten so viele so stark in seinen Bann zieht, kommt man immer wieder mit der Historie in Kontakt. Aber es zeigt sich auch: Allein auf die Geschichte verlassen sich die Leute in Hoppegarten nicht.

Für Gerhard Schöningh hat diese Faszination auch viel mit dem Blick auf die Anlage zu tun. Zwei Tage vor dem Grand-Prix-Meeting steht er am späten Nachmittag auf der leeren Klubtribüne. Zu dieser Zeit sei die Atmosphäre hier am schönsten, sagt er. Der 53-Jährige, groß, schlank, mit braun-grauen Haaren, die modisch in die Stirn fallen, zündet sich eine Zigarette an. Er schaut auf die Zielgerade, mit 1400 Metern die längste im deutschen Galoppsport, schaut rechts davon auf die großen Backsteintribünen aus dem 19. Jahrhundert, auf den Zielrichterturm in DDR-Architektur von 1957, und er schaut auf das von uralten Eichen und Linden umgebene Areal. „Das ist schon beeindruckend“, sagt Schöningh. Und das gehört alles ihm. Schöningh ist in Deutschland der einzige Privatbesitzer einer Rennbahn.

2008 hat der gebürtige Krefelder die Anlage mitsamt der Ställe und mehr als 200 Hektar dazugehörendes Land für drei Millionen Euro von der Treuhand gekauft, nachdem der vormalige Betreiber, der Union-Klub, 2005 Insolvenz anmelden musste. Schöningh lebt in London, arbeitete dort lange als Fondsmanager. Vor neun Jahren verkaufte er die eigenen Anteile seines Anlagefonds. Von da an hatte er „ziemlich viel Geld und viel Zeit“, wie er sagt. Und Schöningh, der seit seiner Kindheit ein Galoppsportfan ist und bereits im Oktober 1989 zum ersten Mal in Hoppegarten war, wollte sich einer Aufgabe widmen, bei der er etwas Schritt für Schritt vorantreiben kann.

Schöningh hat bereits mehrere Millionen Euro in die rennbahn gesteckt

Mehrere Millionen Euro hat er seit dem Kauf in die Rennbahn gesteckt. Vieles wurde seitdem wieder instand gesetzt, derzeit wird die zweite Tribüne renoviert. Und auch beim Rennbetrieb „haben wir schon Gutes erreicht“, sagt Schöningh. Mittlerweile ist Hoppegarten in Deutschland wieder an dritter Stelle, hinter Baden-Baden und Hamburg. Die Rennpreise sind stets gestiegen, im Vorjahr lagen sie bei 1,46 Millionen Euro, ebenso die Wettumsätze (2014: 2,4 Millionen Euro).

Auch die Besucherzahlen entwickeln sich ordentlich, im vergangenen Jahr kamen 77 300 Zuschauer an elf Renntagen. Doch nach Schöninghs Geschmack könnte das Wachstum gerne schneller vonstatten gehen. Und rentabel ist die Rennbahn noch nicht. Wenn er dann also an den weißen Wetthäuschen vorbeispaziert und einerseits von den Fortschritten berichtet, sagt er kurz darauf: „Ganz zufrieden bin ich hier selten. Ich spüre eher eine projektbezogene Zufriedenheit als den allumfassenden Besitzerstolz.“

Auch Artur Boehlke ist noch lange nicht 100-prozentig zufrieden mit Hoppegarten. Aber bei ihm liegt das ebenfalls in der Natur der Sache. Boehlke, ein kleiner Mann mit weißen Haaren und einer Brille mit Metallgestell, war mehr als 25 Jahre lang Direktor und Geschäftsführer von Hoppegarten, schon als die Rennbahn noch VEB Vollblutrennbahnen hieß.

Boehlke ist seit 66 Jahren mit Hoppegarten verbunden

Von seinem zehnten Lebensjahr an war der heute 76-Jährige mit Hoppegarten verbunden und dort tätig, damals fing er als Botenjunge an. Seitdem fasziniert ihn das „Flair Hoppegartens“, sagt Boehlke. „Es ist immer grün. Die Anlage ist ein Schmuckkästchen.“ Der mitreißende Boehlke ist die gute Seele und das Gewissen Hoppegartens. Auf das Interview hat er sich besonders vorbereitet, all seine 38 Ordner zur Geschichte der Rennbahn habe er durchgesehen, sagt er. Und dann erzählt er von der Ehefrau des früheren DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, die so gerne mit ihrem Mann zum Wetten kam. Oder von Richard von Weizsäcker, der ebenfalls Botenjunge in Hoppegarten war.

Alle vier bis sechs Wochen treffen sich Boehlke und Schöningh zu Hause bei ihm im Nachbarort Neuenhagen zum Kaffee und beratschlagen. „Aber Schöningh isst dann nur Plätzchen. Kein Wunder, dass er so dünn ist“, sagt Boehlke. Ansonsten findet er aber, dass Schöningh gute Arbeit leiste. „Dit is ’ne schwierige Kiste hier. Er macht dit jut. Und ick hoffe, noch sehr lange.“ Denn Boehlke möchte noch erleben, wie Hoppegarten wieder die Nummer eins in Deutschland wird.

Diesen Wunsch hegen auch Gunther Barth und Uwe Stech. Auch sie haben ihr Herz an Hoppegarten verloren. Barth ist Rennkommentator, der 43-Jährige war schon als Achtjähriger auf der Bahn und wohnt direkt gegenüber. Stech ist seit 1977 in Hoppegarten, seit er seine Lehre als Pferdewirt begann. Nun ist der 55-Jährige Trainer, in seinem Rennstall betreut er 40 Pferde. Beide schwärmen ebenfalls von der besonderen Aura Hoppegartens. Barth schätzt die weitläufige Anlage, Stech die hervorragenden Trainingsbedingungen sowie die faire, weil breite Bahn. Doch beide sehen auch, dass noch viel zu tun ist. Mit lediglich 130 Pferden in Hoppegarten sind die Trainingsmöglichkeiten nicht annähernd ausgereizt. Noch dreimal so viele Pferde könnten dort untergebracht sein, findet Stech. Und Barth wünscht sich, dass die Rennbahn und der Galoppsport wieder mehr ins Bewusstsein der Berliner rücken: „Wir brauchen dringend Nachwuchs.“

Gerhard Schöningh ist all dies bewusst. Es gibt noch viele Baustellen in Hoppegarten. Er will sie angehen, gemeinsam mit all jenen, die Hoppegarten in seinen Bann gezogen hat. Und so hat sich Schöningh besonders ein Ziel gesetzt. Eines, das auf die Aura der Rennbahn abzielt: „Ich möchte, dass ein Renntag hier die ganze Vielfalt Berlins widerspiegelt. Dass alle hier zusammenkommen.“ Auch das hat natürlich wieder etwas mit Historie zu tun, aber vor allem damit, wie Hoppegarten seine Geschichte weiter fortschreibt.Seite 11

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false