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Sport: Abschied in Anmut

Die Türken hoffen nun auf die WM – und darauf, dass Nationaltrainer Terim doch bleibt

Spät am Abend hat Joachim Löw gesagt, er hätte gewusst, dass die Türken nicht mehr zurückkommen, dieses Mal nicht. Wirklich? Auch bei diesem Freistoß tief in der Nachspielzeit, aus bester zentraler Position? Tümer lief an, und auf einmal lag es wieder in der Luft, das türkische Comeback, es wäre das vierte bei dieser EM gewesen. Doch Tümer drosch den Ball in den Baseler Abendhimmel, und dann waren sie wirklich raus, ausgeschieden, unwiderruflich. Sie rannten in die Kabine, so schnell, wie sie den Deutschen auf dem Platz so oft davon geflitzt waren. Welcher Verlierer sieht dem Sieger schon gern beim Feiern zu?

Erschöpft, traurig und auch ein bisschen wütend verarbeiteten die Türken das Drama von St. Jakob. „Ich hoffe, die deutschen Spieler schämen sich ein wenig“, sagte Kazim Kazim. Schämen für den bescheidenen Fußball, mit dem sich der glückliche Sieger ins Finale gemogelt hatte. Mit diesem Coup in der Schlussminute, als das Spielglück eine letzte Volte schlug.

Kazim sprach als unmittelbarer Augenzeuge. Er war es, der sich Philipp Lahm in den Weg stellen wollte, aber wegrutschte und dann mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen blieb. Die türkischen Zuschauer pfiffen, hinten fuchtelten ein paar Spieler mit den Armen, Lahm solle doch den Ball ins Aus spielen, aber der Deutsche lief weiter unbeeindruckt in den Strafraum und hob den Ball zum finalen 3:2 ins Tor.

Vielleicht hätte ein besserer Torhüter dieses Ende verhindert. Rüstü Recber erkannte nicht, wie spitz der Winkel für den Torschützen war, er hätte nur stehen bleiben müssen und fiel doch, weitaus behäbiger noch, als man das Bahnschranken gemeinhin nachsagt. Schon Kloses Kopfballtor hatte er verschuldet, allein das 1:1 von Bastian Schweinsteiger ließ ihm keine Chance zur Abwehr. Viel mehr bekam der 35 Jahre alte Ersatzmann des gesperrten Volkan Demirel nicht zu tun. Wenn die Türken sich in den nächsten Tagen an die Fehleranalyse machen, werden sie an der Leistung ihres Torhüters kaum vorbeikommen. Konsequenzen müssen sie daraus keine ziehen: Rüstü beendet seine Laufbahn in der Nationalelf von sich aus.

Ohnehin mochte in der Trauer und Wut nach dem verlorenen Halbfinale keiner der Kollegen das Wort erheben gegen Rüstü. Der Vorgesetzte erst recht nicht. „Im Viertelfinale hat er im Elfmeterschießen großartig gehalten, heute hatte er nicht seinen besten Tag“, sagte Trainer Fatih Terim, „so ist eben Fußball, Fehler gehören dazu, das macht diesen Sport doch so einmalig.“ Terim wirkte so entspannt wie selten bei dieser EM, aus seinen Worten sprach so etwas wie Erleichterung über den tragischen, aber doch anmutigen Abschied seiner Mannschaft. Sein Credo: Lieber in Würde scheitern, als ins Finale rumpeln. „Meine Vorstellung von Fußball ist, dass die Spieler auf dem Platz Spaß haben und den Zuschauern diesen Spaß auch vermitteln. So haben meine Mannschaften immer gespielt, auch heute, deswegen bin ich stolz auf das, was wir geleistet haben.“

Zentrales Thema der türkischen Tragik war es, dass sie nach drei eher glücklichen Siegen in Folge ihr mit Abstand bestes EM-Spiel hinlegten und dabei am Glück der anderen scheiterten.

Verteidiger Gökhan Zan war sich sicher, „dass unser Volk und vielleicht ganz Europa zu uns aufschaut“. Selten hat eine türkische Mannschaft so stringent und ästhetisch zugleich gespielt wie diese zusammengewürfelte Mannschaft von Basel, geschwächt von Sperren und Verletzungen. Die herausragenden Spieler dieses Halbfinales waren nicht Michael Ballack oder Philipp Lahm, sondern Hamit Altintop und Kazim Kazim. Altintop interpretierte die Rolle des Spielmachers noch druckvoller, noch eleganter, als es dem Weltstar Ballack in seinem besten EM-Spiel gegen Portugal gelungen war. Und Kazim, in London geboren als Colin Kazim-Richards, Sohn eines Antiguaners und einer türkischen Zypriotin, gehört zu den großen Überraschungen dieses Turniers. Ein groß gewachsener Stürmer mit perfekter Ballbehandlung und robustem Zweikampfverhalten, vielleicht ein neuer Hakan Sükür.

Die Zukunft dieser Mannschaft erscheint vielversprechend und ist doch offen. „Wer nach mir kommt, kann die Türkei zum Champion machen“, sagte Fatih Terim. Noch in der Nacht zum Freitag kokettierte der Trainer mit einem Wechsel ins europäische Ausland, versprach aber, „dass ich noch einmal mit dem türkischen Verband reden werde“. Er hat diese Mannschaft in den vergangenen zwei Jahren aufgebaut. Terim ist ehrgeizig und eitel genug, den in Basel verpassten Erfolg nachzuholen. In zwei Jahren, bei der WM in Südafrika.

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