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Sport: Ästhetik gegen Athletik

Masters der Rhythmischen Sportgymnastik beginnt in Berlin

Berlin. Lisa Ingildeeva hat 90 Sekunden Zeit. 90 Sekunden, in denen die köperliche Anstrengung unsichtbar bleiben muss, um Jury und Zuschauer mit ihrer Grazie zu bezaubern. Weil die Schülerin in diesem Jahr ihren 15. Geburtstag feiert, darf sie seit Januar bei den Erwachsenen starten. Am Wochenende will die fünffache Deutsche Meisterin in der Rhythmischen Sportgymnastik beim Berlin Masters in der Schmeling-Halle ein paar gute Plätze sammeln. Das Masters ist das vierte von acht Grand-Prix-Turnieren und ein wichtiger Test für die Weltmeisterschaften in Budapest im September. Dort können sich die Athletinnen für die Olympischen Spiele 2004 in Athen qualifizieren.

90 Sekunden, um Bewegung und Musik miteinander verschmelzen zu lassen. Wer das schaffen will, sollte mit sechs Jahren das intensive Training beginnen und ein Mädchen sein. Männer, die sich an Seil, Ball, Keulen, Reifen oder Band versuchen, gibt es in den Vereinen nicht. Für den ehemaligen Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, Juan Antonio Samaranch, ist Rhythmische Sportgymnastik die „charmanteste und fraulichste Sportart der Welt“, unter ihm wurde die Sportart 1984 olympisch.

Lisa ist die große Nachwuchshoffnung des Deutschen Turner-Bundes. Bei den Europameisterschaften Anfang April belegte sie Plätze zwischen neun und dreizehn, eine Woche zuvor war sie eingebürgert worden. Vor acht Jahren kam die gebürtige Moskauerin nach Berlin, seit ihrem zehnten Lebensjahr trainiert sie im Bundesstützpunkt im schwäbischen Schmiden. Dort arbeitet sie mit Bundestrainerin Galina Krylenko an Körperbeherrschung und Athletik, Zeit- und Raumgefühl und der Beherrschung der Handgeräte.

In Berlin trifft sie auf 54 andere Gymnastinnen in den Disziplinen Reifen, Ball, Keulen und Band, mit dem Seil werden momentan keine Einzelwettbewerbe ausgetragen. Große Favoritin ist die dreifache Europameisterin Anna Bessonowa aus der Ukraine, die osteuropäischen Nationen dominieren die Sportart seit Jahrzehnten.

Lisa Ingildeeva hat viele Jahre hart trainiert, um in 90 Sekunden möglichst viele schwierige Elemente in ihre Übungen einzubauen. Doch die Bewertung ihrer Leistung ist kompliziert, die Gymnastinnen müssen vor jeder Übung eine Liste mit ihren zehn höchsten Schwierigkeiten einreichen, deren Ausführung die Wertungsrichter überwachen. Sonja Schmeißer, Präsidiumsmitglied im Berliner Turnerbund, sieht noch ein größeres Problem als diesen Papierkrieg. Die für eine hohe Bewertung geforderten Elemente belohnen vor allem die Athletik, das tänzerisch-künstlerische Element fällt nicht mehr so sehr ins Gewicht. „Bei Gymnastinnen, die nicht zur Weltspitze zählen, sehen die Übungen oft nur noch wie eine Aneinanderreihung der einzelnen Teile aus“, sagt Schmeißer. „Das beeinträchtigt die Ästhetik.“

Lisa Ingildeeva wird sich darüber nicht den Kopf zerbrechen müssen. Sie gehört ja zu den Besseren. Und mit ihrer Ausstrahlung hat sie sogar die Chance, in einer anderen Wertung vorne zu liegen: Am Samstagabend wählt das Publikum die „Miss Turnier“. Dabei zählt dann nicht die sportliche Leistung, sondern Ausstrahlung, Charme und Eleganz.

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