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Altin Rraklli, 45, spielte in Deutschland für den SC Freiburg, Hertha BSC, Unterhaching und Jahn Regensburg. Er lebt in Tirana und München.

© Imago

Albaniens Altin Rraklli im Interview: "Das Land hat schon gefeiert"

Ex-Bundesligastürmer Altin Rraklli über Albaniens EM-Teilnahme, deutsche Wasserkästen und kommunistische Trainingsmethoden.

Herr Rraklli, Albanien droht im zweiten EM-Gruppenspiel gegen Frankreich schon das Aus. Wie viel ist von der Vorfreude auf das Turnier noch übrig im Land?

Die Stimmung ist nach wie vor überragend. Früher haben die Albaner für Deutschland oder Italien gejubelt, heute können sie mit Stolz auf ihr eigenes Team blicken. Die politische Lage ist nicht die Beste, da kommt Fußball als Ablenkung gerade recht.

Wie wurde das 0:1 gegen die Schweiz empfunden. War die Enttäuschung groß?

Wissen Sie, was jetzt noch kommt, ist alles, wie sagt man in Deutschland? Wie eine Kirsche auf der Torte. Wenn wir ein Spiel gewinnen, schmeckt die EM noch besser. Wenn nicht, ist auch alles gut. Wir haben unseren großen Moment schon gehabt, weil die EM-Qualifikation für Albanien den gleichen Stellenwert hat wie der Europameistertitel für Deutschland. Albanien hat schon gefeiert.

Es ist noch nicht lange her, da boten Albaniens Fußballer wenig Grund zur Freude. Was hat sich in den vergangenen Jahren verbessert?

Oh, dass lässt sich nicht mit einem Satz erklären. Da müssen wir weit in der Geschichte zurückgehen. Anfang der Neunziger...

... nach dem Ende des Kommunismus...

... genau. Da kam es zu einer Massenflucht. Viele Albaner verließen das Land. Ich meine, in Albanien war es schlimm damals, die Menschen hatten nicht genug zu essen, keine Arbeit. Sie gingen fort Richtung Westeuropa, alle auf der Suche nach einem besseren Leben. Manche fanden es in der Schweiz, in Deutschland oder in Großbritannien. Sie blieben und bekamen Kinder. Diese Kinder bilden heute den Großteil unserer Nationalmannschaft, aber mit einer ganz anderen Mentalität, als sie meine Generation hatte.

Wie meinen Sie das?

Wir waren es früher gewohnt, zu verlieren. Ging ein Spiel mal knapp an den Gegner – kein Problem. War schon ein Erfolg für uns. Albanien ist ein kleines Land und genauso fühlten wir uns auf dem Platz: klein.

Gab es nichts, was Ihnen Mut machte?

Wenn wir mit der Jugendnationalmannschaft nach Frankreich oder Deutschland sind, war es besonders schlimm. Die standen dann vor den Spielen immer da in ihren neuen Trainingsanzügen, alles Markenware. Und wir steckten in ausgebleichten Sachen, die schon andere vor uns getragen hatten. Vom Kopf her hatten wir da schon verloren.

Haben die Spieler heute mehr Selbstvertrauen?

Ich denke ja. Sie sind natürlich Albaner, aber auch Schweizer oder Deutsche. Sie sind dort aufgewachsen und haben von Anfang an gelernt, an sich zu glauben und immer nach dem Maximalen zu streben. Außerdem haben sie in diesen Ländern von klein auf eine bessere fußballerische Ausbildung genossen.

Wie stark sucht der albanische Fußball-Verband nach im Ausland geborenen Spielern?

Sehr stark. Es gibt inzwischen ein riesiges Netzwerk von Scouts, die sind überall in Europa unterwegs. Der Verband lässt sich das einiges kosten, aber der Ertrag ist ja auch da. Den Spähern geht kaum einer durch die Lappen. Und dann kommt die entscheidende Frage: Kannst du dir vorstellen, für Albanien, das Land deiner Eltern zu spielen? Die meisten können das.

Albanien hat in Person des Italieners Gianni De Biasi einen ausländischen Trainer. Welchen Anteil hat er am Aufschwung der Nationalmannschaft?

Er bringt internationales Flair nach Albanien und ist wie fast alle Italiener ein meisterhafter Taktiker. Seit er da ist, gehört Albanien zu den taktisch am besten eingestellten Mannschaften, würde ich behaupten.

Fehlte es Ihrer Generation einfach am nötigen Know-how?

Albanien hatte schon immer gute Fußballer, vielleicht waren wir am Ball sogar einen Tick stärker als die Jungs heute. Aber bei uns fehlte es an vielen Dingen, nicht nur an der taktischen Ausbildung.

Gehen Sie ruhig ins Detail.

Bei der Nationalmannschaft herrschte immer Chaos, der Verband war damals längst nicht so gut organisiert wie heute. Vor den Spielen haben wir in ganz gewöhnlichen Hotels gewohnt, manchmal direkt am Strand, wo die ganzen Touristen untergebracht waren. Da hast du nachts kein Auge zugemacht. Oder Fans waren im Hotel eingecheckt, die haben dann jeden Tag schon in der Lobby auf uns gewartet und wollten Autogramme oder einfach nur quatschen. Gegessen haben wir auch nicht wie Spitzensportler, sondern ganz normal von der Karte. Manchmal noch zwei Stunden vor dem Spiel. Und dann konnte keiner laufen.

Aus Deutschland, vom SC Freiburg, waren Sie anderes gewohnt?

Als ich nach Deutschland kam, habe ich erst mal gemerkt, was in Albanien alles schiefläuft. Da fällt mir spontan eine Geschichte ein...

... nur zu, erzählen Sie.

Bei meinem ersten Training in Freiburg standen Wasserkästen am Spielfeldrand. Ich dachte: „Was ist hier los, wollen die mich testen?“ Ich rührte nichts an, weil ich es aus Albanien gewohnt war, dass wir während der Einheiten nicht trinken durften.

Warum war das so?

Wie gesagt, Albanien war lange ein kommunistisches Land. Alles wurde von der Sowjetunion übernommen, auch die Trainingslehre. Unsere Trainer hatten immer die gleichen Bücher, steinalt, Schule Valerie Lobanowsky. Darin stand, dass man während des Trainings nicht trinken darf. Wir sind dann in Tirana bei 40 Grad über den Platz gehechelt, zwei Stunden lang, ohne einen Schluck Wasser. Hört sich verrückt an, ist aber noch gar nicht lange her.

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