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Äußerlich der Alte. Allerdings sucht Allen Iverson seine Form auf dem Feld.

© dpa

Allen Iverson in der Provinz: Showtime in Braunschweig

Allen Iverson war der größte Basketballstar in den USA. Jetzt tingelt er mit Besiktas Istanbul durch Europa - und die Gegner heißen nicht mehr Celtics oder Lakers, sondern "Veilchen", wie der Spitzname der BG Göttingen lautet.

Ein Pfiff. Allen Iversons Kopf fährt blitzartig herum, fassungslos. Einen Schrittfehler soll er begangen haben, mitten in der Vorwärtsbewegung. Iverson schaut den Schiedsrichter an, erst ungläubig, dann böse und frustriert. Der Unparteiische erklärt es ihm geduldig, so sind die europäischen Regeln nun mal. Eben anders als in der amerikanischen Profiliga NBA, in der Iverson vier Mal bester Werfer war und elf Mal ins All-Star-Team gewählt wurde. Doch die NBA ist an diesem Abend weit weg, es ist der zweite Spieltag der Eurocup-Gruppe H, Allen Iverson spielt mit seinem neuen Klub Besiktas Istanbul in Braunschweig. Die Gegner des 35-Jährigen heißen nicht mehr Celtics oder Lakers, sondern „Veilchen“, wie der Spitzname der BG Göttingen lautet. Der frühere Weltstar will bei Besiktas seine Karriere retten, mit der es zuletzt bergab ging. An diesem Abend macht er keinen Schritt in diese Richtung: Iverson erzielt zwar 18 Punkte, Besiktas aber unterliegt Göttingen mit 83:85 (34:45). „Es hinterlässt einen bitteren Geschmack, dass ich meine ersten drei Spiele verloren habe. Aber es spornt mich nur an, noch besser zu werden“, sagte Iverson.

Schon vor Spielbeginn ist klar, für wen die meisten der 4202 Zuschauer – Zuschauerrekord für die Göttinger im Verlegungsort Braunschweig – gekommen sind. In Fünferreihen stehen Fans hinter den Werbebanden und fotografieren, wie Iverson über das Feld trottet, dribbelt, seine sehnigen Beine dehnt und dabei im Takt der Musik nickt. Viele Zuschauer haben das Trikot mit der Nummer 3 herausgekramt, in dem Iverson die Philadelphia 76ers im Jahr 2001 fast im Alleingang ins NBA-Finale brachte. Im europäischen Basketball gibt es die 3 als Trikotnummer nicht, Iverson wollte wenigstens die 4 abbekommen. Istanbuls Center, der ihm die Nummer abgetreten hat, hat er zum Dank eine teure Armbanduhr geschenkt. Besiktas hofft, einige Trikots mit dem Aufdruck „Iverson“ zu verkaufen. Das – und die Hoffnung auf den ersten Meistertitel seit 1975 – ist dem Klub vier Millionen US-Dollar für zwei Spielzeiten wert.

Iverson winkt ins Publikum, der nur 1,83 Meter große Aufbauspieler ist es seit seiner Kindheit gewohnt, angehimmelt zu werden. Schon zu Schulzeiten in Hampton im US-Bundesstaat Virginia reißen sich Medien und Scouts um ihn. Mit 17 Jahren wird Iverson nach einer Schlägerei in einem Bowlingcenter zu einer Haftstrafe verurteilt, der Gouverneur begnadigt ihn nach fünf Monaten. Das hindert die 76ers nicht daran, Iverson 1996 als ersten Spieler im NBA-Draft auszuwählen. Er macht Philadelphia zu einem Spitzenteam.

Gegen Göttingen gelingen Iverson erst nach acht Minuten die ersten Punkte. Iverson fehlt die Bindung zu seinen Mitspielern, in der Verteidigung kommt er oft einen Schritt zu spät. Ab und zu, wenn er im Angriff blitzschnell die Richtung wechselt und furchtlos gegen viel größere Gegner zum Korb zieht, ist aber noch der alte Iverson zu erkennen, dem sein Sponsor einst den Kampfnamen „The Answer“, die Antwort, verliehen hat. Auch abseits des Feldes hat Iverson immer für Schlagzeilen gesorgt, mehrmals ist der Vater von fünf Kindern mit dem Gesetz in Konflikt gekommen – Waffenbesitz, Drogen, Körperverletzung. Zuletzt wird Iverson hin- und hergeschoben. Denver, Detroit, Memphis, wieder Philadelphia. Er sieht nicht ein, wieso ihn seine Trainer als Einwechselspieler und nicht mehr als Star sehen.

In Istanbul wird Iverson bei seiner Ankunft vor zwei Wochen gefeiert wie ein Heilsbringer. Mit nicht weniger als 16 Koffern sei er unterwegs, berichtet die Zeitung „Bugün“ beeindruckt. Doch seine ersten beiden Spiele gehen verloren, im Derby gegen Fenerbahce gelingt ihm nur ein einziger Korb, sein Trainer lässt ihn das gesamte Schlussviertel auf der Bank. Auch gegen Göttingen läuft es bei Besiktas erst besser, als Iverson in ein Handtuch gehüllt von außen zuguckt. Beim Stand von 62:52 für den ständig führenden Bundesligisten wird Iverson ausgewechselt, in der Folge können die Türken aufholen, ausgleichen, in Führung gehen. Iverson kommt zurück, 44 Sekunden vor Schluss will er die Entscheidung beim Stand von 81:81 erzwingen und rennt seinen Gegner um, Offensivfoul. Den letzten Ballbesitz hat erneut Besiktas. Aber Iverson ist nicht für den letzten Wurf vorgesehen. Früher hat er unzählige Spiele entschieden, jetzt muss er mit ansehen, wie sein Mitspieler Mire Chapman sich aus dem Konzept bringen lässt, weil die Zeitanzeige seltsamerweise hakt. Chapman verfehlt sein Ziel, Göttingen trifft im Gegenzug mit der Schlusssirene zum Sieg. Während die Türken wild protestieren und die Zuschauer jubeln, geht Iverson in den Kabinengang, ohne sich umzudrehen.

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