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Sport: Am Tiefpunkt

Martin Schmitt holte 2002 noch Olympia-Gold – bei der WM verpasste er jetzt das letzte Springen

Val di Fiemme. Nur 94 Meter – das war’s. Martin Schmitt war nach dem Abschlusstraining der deutschen Skispringer in Predazzo seinen Startplatz los. Überraschend kam diese schwache Leistung für Bundestrainer Reinhard Heß nicht, aber vielleicht hatte er noch auf ein Wunder kurz vor dem Springen auf der kleinen Schanze bei den Nordischen Ski-Weltmeisterschaften gehofft. Aber der formschwache 25-Jährige aus Furtwangen tat ihm den Gefallen nicht. Schmitt war am Tiefpunkt seiner Karriere angelangt.

Seit Lillehammer 1994, seit Beginn der Ära Heß, waren die deutschen Skispringer mit Martin Schmitt als Leistungsträger immer zu Medaillen geflogen. Sie beherrschten weitgehend die Konkurrenz bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften, vor allem seit Martin Schmitt mit Hannawald im Sog die Nachfolge Jens Weißflogs angetreten hatte. Silber mit der Mannschaft in Nagano 1998, Weltmeister auf der Großschanze 1999 und 2001 sowohl allein als auch mit dem Team. Bei Olympia 2002 hatte Schmitt als letzter Springer der Mannschaft noch das Gold gerettet. Und nun wurde der Siegbringer vom Utah Olympic Park für das letzte Wettspringen im Fleimstal nicht einmal nominiert. Eine Schutzmaßnahme, heißt es. „Ich kann ihn nicht länger vorführen“, begründete Heß die Maßnahme. „Man muss ihn schützen.“ Denn nach seiner Knieoperation im September war der 25-jährige „Weltklasse-Athlet“ (Heß) nur hinterhergeflogen statt vorneweg.

Wenn es nach Heß gegangen wäre, hätte der Kniegeschädigte ganz auf die Winter-Tournee 2002/2003 und die Weltmeisterschaft verzichten müssen. Leichter gesagt als getan, seit Fernsehen und Sponsoren sich das Spektakel der fliegenden Skiathleten Millionen kosten lassen. Jeder TV-Auftritt ist bares Geld. Schmitts lila Mütze im Skistadion ist schließlich werbewirksamer als die lila Kuh auf der Weide. „Wunschvorstellungen waren im Spiel. Der Blick für die Realität ging ein bisschen verloren“, beugte sich der weitsichtige Trainer dem Willen des „mündigen Athleten“ und räumte ein: „Das war ein Fehler.“

Für die Weltmeisterschaft auf der Großschanze war Schmitt als Titelverteidiger dank seines persönlichen Startrechts automatisch qualifiziert und hatte keinem Besseren einen Platz weggenommen. Er wurde nur 21. Jovial überspielte der Springer aus Furtwangen seine Enttäuschung. „Man darf den Kopf nicht in den Sand stecken. Ich hoffe, es wird besser.“ Sein Wunsch ging in der folgenden Team-Konkurrenz nicht in Erfüllung. Reinhard Heß kennt seinen sensiblen Schützling genau. „Ich müsste jetzt sagen: Den Martin bewundere ich. Er hat ja seinen Charakter nicht insofern geändert, dass er plötzlich kein Siegspringer mehr ist.“ Die Gelassenheit, mit der sich Martin Schmitt nach außen mit seiner Situation abfindet, nimmt ihm Heß nicht ab: „Innerlich sieht das beim Martin ganz schlimm aus.“

Heß glaubt, bei Schmitt eine gewisse Erleichterung über die Nichtnominierung gespürt zu haben. Es sei eine gemeinsame Entscheidung gewesen, bestätigte auch der viermalige Weltmeister und betonte: „Das hat etwas mit Vernunft zu tun.“ Ein Sieg der Vernunft ist schließlich auch ein Sieg. Vielleicht wäre es in dieser Situation auch vernünftig, nach der WM die Saison ganz zu beenden. Heß lässt die Antwort darauf offen: „Wir werden telefonieren und sehen, ob Martin überhaupt bereit wäre, beim Weltcup in Oslo zu starten.“ Für Schmitt selbst ist ein vorzeitiges Saisonende noch kein Thema, bisher ist nur der Verzicht auf das abschließende Weltcup-Skifliegen in Planica wahrscheinlich: „Mir tut nichts weh, ich hoffe, dass mein nächster Wettkampf das Holmenkollen-Springen von Oslo ist.“

Es liegt nun an seinen Teamkollegen Hannawald, Duffner, Späth und Uhrmann, in Predazzo die letzte WM-Chance dieses Winters zu nutzen. Allen voran fliegt jetzt Sven Hannawald, dem gestern in der Qualifikation mit 99,5 Meter immerhin der sechstbeste Versuch aller Springer glückte. Der 28-jährige Hinterzartener kam damit aber nicht an Adam Malysz heran. Der Pole, Großschanzen-Weltmeister und Titelverteidiger, überragte mit 105 Metern. Auch Uhrmann, Späth und Duffner schafften souverän den Sprung unter die weltbesten 50, die heute (18 Uhr, live im ZDF) um die Medaillen kämpfen.

Ob nun wenigstens Sven Hannawald auf der Normalschanze wieder die Flugkurve kriegt? Wenn nicht, wären es ausgerechnet die Helden der Lüfte, die nichts zur so positiven Bilanz der deutschen Mannschaft bei den Nordischen Ski-Weltmeisterschaften beigetragen hätten. Dreimal Gold, viermal Silber haben die Langläufer und Kombinierer bisher gesammelt. Hermann Weinbuch, der Bundestrainer für die Nordische Kombination, erinnert sich, wie die Spezialspringer in der Vergangenheit herumliefen, „lächelnd, die Nase hoch, und wir saßen mit gesenkten Köpfen am Tisch. Heute ist es umgekehrt.“

Hartmut Scherzer

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