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Sport: Auf Augenhöhe

Wie Hertha erst die Wirklichkeit überholte, sich dann von ihr überholen ließ – und jetzt mit Hans Meyer in ihr wieder ankommt

Weihnachten wird für Hertha BSC also doch noch ein Fest der frohen Hoffnung. Zwar bleibt die Winterpausenbilanz so brutal wie zuvor: nur zwei Siege in siebzehn Spielen, niemand schoss weniger Tore, vorletzter Platz, überall raus, zwei Trainer verschlissen, die Fans verprellt; doch die Verpflichtung von Hans Meyer gibt dem Verein die Gelegenheit zu wenigstens ein paar besinnlichen Tagen, statt hektisch zwischen Wunderkerzen und Leuchtraketen weiter nach einem Retter zu suchen. Der Fast-schon-Ruheständler bringt etwas Ruhe mit, wenigstens das.

Mit Hans Meyer beginnt noch keine neue Ära; mit ihm endet erst mal die alte. Der erfahrene, reaktivierte Trainer markiert den Schlusspunkt einer Erfolgsgeschichte, in der Hertha BSC anfangs immer einen kleinen Schritt weiter war, als die Gegenwart eigentlich zuließ. So verlor der Verein langsam die Realität aus den Augen. Dass hier jetzt endlich von Abstieg ernsthaft die Rede ist, zeigt, wie man sich ihr wieder nähert.

Bis vor zwei Jahren lief alles gut. So glatt, so perfekt. Hertha schaffte 1997 den Aufstieg in die Bundesliga. Unvergesslich ein Montagabend in jenem Frühjahr. Die Schlangen vor den Kassen des Olympiastadions sind lang, die Zuschauer strömen, es werden immer mehr. Millionen sitzen vor dem Fernseher. Hertha gegen Kaiserslautern, das Spitzenspiel der Zweiten Liga. Da, in der Westkurve, Oberring! Nie hatte dort jemand gesessen, und jetzt öffnen sich sogar hier die Gitter der Eingangstore. Wie Ameisen krabbeln die Fans über die Bänke. Ausverkauft. 75 000 sind da. Am Ende ein Jubel wie ewig nicht mehr: Hertha gewinnt. Und Berlin gewinnt mit.

Jetzt ging es gegen die Großen der Liga, gegen Dortmund, gegen Bayern. In der ersten Saison kam fast eine Million Zuschauer ins Stadion, Hertha war Stadtgespräch. Die Helden hießen Axel Kruse, Michael Preetz und Andreas Thom. Als nach ein paar sieglosen Wochen der Trainer in die Kritik geriet, vom ewig nörgelnden Aufsichtsratsvorsitzenden Robert Schwan rausgeschmissen werden sollte – da erhoben sich die Fans bei einem Spiel gegen Karlsruhe von ihren Sitzen und feierten ihren Trainer, feierten Jürgen Röber, trotz eines Rückstands. Am Ende gewann Hertha 3:1, der Trainer behielt seinen Job.

Nie Stillstand, nie Atempause. Hertha stieg weiter nach oben, niemandem wurde schwindelig. Dariusz Wosz kam, auch Stefan Beinlich, René Tretschok, Sebastian Deisler. Was für ein Mittelfeld! Vielleicht das beste der Liga. Dann die Krönung: Champions League. Ausverkauft das Stadion gegen den AC Mailand. Dann das „Nebelspiel“ gegen Barcelona. Die Stadt wuchs erst noch, aber Hertha fühlte sich schon wie ein Riese. „Ich will mit der Schale durch das Brandenburger Tor laufen“, jubelte Manager Dieter Hoeneß, und alle glaubten, das würde schon morgen sein.

Irgendwann kam die Wende, schleichend. Hertha gewann noch, aber nicht mehr so oft und nicht mehr so schön. Trotzdem reichte es wieder – am Ende. 2000 qualifizierte sich der Verein für den Uefa-Cup, weil Bielefeld in Stuttgart einen 0:3-Rückstand noch ausgleichen konnte. Was für eine Feier, schaut auf diesen Klub! Einfach nicht aufzuhalten.

Doch Hertha begann, sich durch die Liga zu mogeln. Scheiterte im DFB-Pokal am Absteiger Köln, scheiterte im Uefa-Cup am Fußballzwerg Genf. Jetzt musste Jürgen Röber gehen, überstürzt trotz Planung. Lückenfüller Falko Götz schaffte wieder den Uefa-Cup, sehr glücklich, geblendet. Dann kam Huub Stevens. Er war der Star, der Sieger – und Herthas Fußball wurde immer schlechter. Die Mannschaft scheiterte im DFB-Pokal, im Uefa–Cup.

Also räumte Hoeneß auf, neue Stars mussten her zu Saisonbeginn, Kovac, Bobic. Die beste Hertha aller Zeiten, das Ziel: mindestens Dritter. Ach je. Jetzt kommt Meyer – zum Luftholen.

André Görke

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