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Sport: Aufgeweckte Schlafmütze

Der Mann sieht oft reichlich zerknittert aus. Nicht die Klamotten, sondern das Gesicht.

Der Mann sieht oft reichlich zerknittert aus. Nicht die Klamotten, sondern das Gesicht. So, als sei Dejan Koturovic erst kurz vor dem Spiel mit Alba Berlin aus dem Bett geklettert und befinde sich beim Aufwärmen in der Aufwachphase. An spielfreien Tagen wie gestern fehlt der Druck, sich aus dem Bett zu quälen. Und so dauert es lange, sehr lange, bis Koturovic sich am Handy meldet. Das Klingeln hat ihn aus dem Schlaf gerissen. Fragen zu seinem starken Auftritt beim 76:75 gegen die Telekom Baskets Bonn will er erst "um 14 Uhr" beantworten. Es ist ihm zu früh, es ist ja erst kurz nach zwölf Uhr mittags. Die Nacht durchgemacht hat er keineswegs, er schläft einfach gern. "Ich bin nach dem Spiel nach Hause gegangen. Wir haben nicht gefeiert, schließlich haben wir nicht die Meisterschaft gewonnen, sondern nur ein Spiel."

Aber was für eins: Alba hatte das Spiel nach 29:44-Pausenrückstand vor einem tobenden Publikum noch umgebogen, Derrick Phelps vier Sekunden vor Schluss den entscheidenden Korb erzielt. Als das Spiel aus war, stürzten die Spieler auf Phelps zu, Henrik Rödl senkte den Kopf und ballte beide Fäuste. Der weitere Fall des Tabellenfünften war gerade noch verhindert worden. Eine nicht ganz unwesentliche Rolle dabei spielte der gar nicht schlafmützige Mann mit der Nummer zehn: Dejan Koturovic. Er kam auf 17 Punkte und neun Rebounds in 31 Minuten. Auch Bonns Terrence Rencher erzielte 17 Punkte - in 40 Minuten.

Packende, bisweilen dramatische Spiele gegen deutsche und europäische Spitzenteams hat Alba in den letzten zwei Wochen geliefert und sich dabei immer weiter gesteigert. Alba hat die Krise überwunden. Mit und auch wegen Koturovic. Nach seiner vorübergehenden Suspendierung kämpft der Jugoslawe seit zwei Wochen wieder unter dem Korb für Alba. Und wird immer stärker, wie das ganze Team. Seit dem Titelgewinn im Juni, an dem er großen Anteil hatte, war er ohne Spielpraxis. Drei Operationen an Knie und Sprunggelenken musste er im Sommer über sich ergehen lassen. Sie warfen ihn weit zurück, auch mental. Der 29-Jährige war mit der von Alba verordneten Therapie nicht einverstanden. Er beharrte darauf, seinen eigenen Weg zu gehen, um fit zu werden - in Belgrad. Nachdem er den von Alba gewährten Sonderurlaub zweimal eigenmächtig verlängert hatte, wurde er suspendiert, der Vertrag aufgelöst. Am liebsten hätte das Management seinen Namen gar nicht mehr erwähnt. Bis sich der eilends als Nachfolger verpflichtete George Zidek schwer verletzte und der Meister, auch wegen vieler Verletzter, von Niederlage zu Niederlage stolperte. Alba holte Koturovic zurück, verlor an Glaubwürdigkeit - und feiert nun wieder tolle Siege. Weil die Verletzten endlich gesund sind, aber auch, weil in der bis dahin schwachen Verteidigung wieder ein Center von der Klasse Koturovics steht. Weder Teoman Öztürk noch Stipo Papic hatten ihn ersetzen können.

Bei seinem ersten Spiel gegen Leverkusen fühlte Koturovic sich wie ein Fremdkörper, "als sei ich direkt vom Himmel in die Halle gefallen". Drei Punkte, drei Rebounds, drei Fouls und vier Ballverluste waren die 9:19-Minuten-Bilanz. Koturovic war maßlos enttäuscht von sich, Alba verlor. Gegen Charleroi stand der Jugoslawe erstmals wieder in der Anfangsformation. Er blieb erneut blass, Alba gewann. Vier Tage später in Frankfurt bewies der Rückkehrer (10 Punkte/7 Rebounds) dann, wie wichtig er für die Berliner ist. Mit ihm besiegte Alba den damaligen Tabellenführer. Nach dem 64:65 gegen Tel Aviv sagte Trainer Emir Mutapic über Koturovic (8 Punkte/11 Rebounds): "Dejan hat gezeigt, dass es keinen Unterschied zwischen ihm und Nate Huffman gibt." Tel Avivs Center zählt zu den besten Europas.

Erst 70 Prozent erreicht

Am Sonnabend gegen Bonn machte Koturovic zwar acht Punkte zur 12:7-Führung, durfte in der ersten Halbzeit aber nur rund 11 Minuten spielen. "Er hatte dann eine Krise wie das ganze Team, ich wollte, dass er später volle Kraft spielt", sagt Mutapcic. Nach der Pause stand Koturovic nur 40 Sekunden nicht auf dem Platz. Bonns zuvor starkem Center Mike Mardesich gelangen nur noch vier Punkte - und kein einziger Rebound mehr. 70 Prozent seiner Leistungsfähigkeit habe er erst erreicht, sagt Koturovic, "mir fehlt noch die Sprungkraft." "Er kann noch viel mehr", meint Mutapic, "er ist 23 Minuten stark. Damit es 32 Minuten werden, muss er noch sehr viel trainieren."

Sauer sei er gewesen, dass der Spieler zum Aufbautraining nach Belgrad flog, sagt Mutapcic, "wir haben schließlich eine sehr gute medizinische Abteilung". Dennoch hielt er telefonisch Kontakt, "Dejan ist mein Freund. Und er hat Seele gezeigt, er wollte immer nur für Alba spielen." Die Fans schickten Koturovic SMS-Meldungen, dass er zurückkommen solle. Nun beweist Koturovic, dass die Rückholaktion zumindest aus sportlicher Sicht richtig war. Ob Albas Schwächephase mit seinem Fehlen zusammenhing? "Wahrscheinlich", sagt Koturovic.

Helen Ruwald

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