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Sport: Aus Prinzip im Recht

DFB-Kontrolleur Horst Hilpert arbeitet sich am Wettskandal ab – als stiller Ermittler und lauter Ankläger

Horst Hilpert glaubt an Sprichworte. Sein Lieblings-Sprichwort lautet: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“ Die Unwahrheit anderer ist sein Geschäft. Der Chefankläger des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) muss im Skandal um manipulierte Spiele nachträglich nach Lügen suchen. Derzeit arbeitet der Jurist mit dem weißen welligen Haar an einem seiner brisantesten Fälle – dem von Bundesliga-Schiedsrichter Jürgen Jansen. Falls dieser, wie Hilpert in seiner Anklage fordert, vom Sportgericht lebenslang gesperrt wird, weil er an Wettabsprachen beteiligt gewesen sei und dafür Geld kassiert habe, wäre der bislang ranghöchste Unparteiische verurteilt. In der nächsten Woche wird über die Ansetzung eines Verhandlungstermins entschieden. „Nach der Sache sind wir aus dem Gröbsten raus“, sagt Horst Hilpert, 68. Er bezieht das wohl auch auf sich selbst.

Der Skandal, den Fußball-Funktionäre als Wettskandal bezeichnen und Wettanbieter als Schiedsrichter-Skandal, ist Hilperts letzte große Aufgabe. Sie fordert ihm sichtbar Mühe ab. Scherze von ihm hören sich so an: „Ich bin unlustig, aber die Lust habe ich nicht verloren.“ Im DFB-Sportgericht in Frankfurt am Main, einem Holz vertäfelten Raum mit zum Viereck zusammengestellte Tischen, wirkt Hilpert manchmal abwesend. Tonlos verliest er Anklagen gegen Schiedsrichter und Spieler. Bei Wortmeldungen vergisst er oft, das Mikrofon anzuschalten. Dann drückt ein Mitarbeiter neben ihm aufs Knöpfchen.

Wenn der Ankläger mal laut wird, zerschneidet er mit kurzen Sätzen die Verhandlung. „Sie lügen doch!“, rief er Felix Zwayer zu, einem Schiedsrichter, der den Betrug seines Kollegen Robert Hoyzer aufzudecken half, aber nach Hilperts Meinung widersprüchliche Angaben machte. Den Anwalt des Schiedsrichters Torsten Koop raunzte er an: „So einen Antrag wie Ihren habe ich noch nie erlebt.“ Sofort berichteten Nachrichtenagenturen von einem Eklat im Sportgericht. Wenn Hilpert sich in Verhandlungspausen in sein Büro zurückzieht, wählt er ruhigere Töne. „Zweifel an der Glaubwürdigkeit müssen klar angesprochen werden“, sagt er. Seine Hände streichen sachte über die Krawatte.

Der Jurist aus Bexbach hat mehr als 1000 Verhandlungen erlebt. In den Achtziger- und Neunzigerjahren war er Präsident des Arbeitsgerichts und des Verfassungsgerichtshofes im Saarland. Er hat Prinzipien, auch bei kleinen Dingen. Als er 1992 den Vorsitz des DFB-Kontrollausschusses übernahm, führte er Fernsehbilder als Beweismittel ein. Er verfolgte zeternde Trainer und Fouls vortäuschende Spieler. Mit dem Slogan „Jesus gehört nicht aufs Trikot“ ging er gegen religiöse Jubelarien gläubiger Fußballer vor. Nun, zum Ende, kehrt Horst Hilpert zur Frage von Wahrheit und Unwahrheit zurück.

Als der Skandal publik wurde, geriet der Ankläger in die Kritik. Halbherzigkeit wurde ihm vorgeworfen, weil nicht der von ihm geleitete DFB-Kontrollausschuss Hoyzer vorlud, sondern der Schiedsrichterausschuss. Dann aber sammelte Hilpert mit Hilfe der Staatsanwaltschaft Indizien. Schiedsrichter Torsten Koop etwa wurde in einer sechsstündigen Verhandlung dazu bewegt, gegen seinen Kollegen Dominik Marks auszusagen. Ankläger Hilpert drohte dabei mit hohen Strafen, der Sportgerichts-Vorsitzende Rainer Koch lockte mit einer kurzen Sperre im Falle einer Zeugenaussage. Die Einheit von Ermitteln, Anklagen und Verurteilen erwies sich in diesem Fall als Stärke des Sportgerichts. „Unsere Arbeit funktioniert, weil wir oft konform gehen“, sagt Ankläger Hilpert über Richter Koch. Zuweilen muss sich das Sportrecht jedoch den Interessen des DFB unterordnen. Das manipulierte Pokalspiel zwischen Hamburg und Paderborn wurde nicht wiederholt, weil der Wettbewerb fortgeschritten war; Verlierer Hamburg wurde mit Geld entschädigt. Hilpert nimmt dieses Dementi der späten Gerechtigkeit gelassen: „Die Alternative zur besten Lösung ist die zweitbeste Lösung.“

In der DFB-Zentrale wird Hilpert mittlerweile gelobt. Er sei fast so akribisch wie Hans Kindermann, heißt es in Anlehnung an die Ermittlungen des Vorgängers beim Bundesliga-Skandal 1971. Den Nachfolger spornt das an. Jetzt fordert er ein Verbandsverbot für Schiedsrichter Jansen, weil dieser durch mögliche Wettabsprachen „dem Ansehen der Schiedsrichter großen Schaden zugefügt“ habe. Dass Jansen keine Spielmanipulation nachgewiesen werden kann, findet Hilpert nach einer belastenden Zeugenaussage des mutmaßlichen Wettbetrügers Ante S. unerheblich – und zieht wieder Kritik auf sich. „Die Anklage über die Medien war höchst überflüssig“, sagt Jansens Anwalt Stefan Reiffen.

Horst Hilpert will sich nicht aufhalten lassen. Er ist ein stiller alter Mann, aber Zweifel an der Wahrheit machen ihn wütend.

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