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Sport: Ausdauernd erfolgreich

Der Schweizer Heinz Frei könnte am Sonntag seinen 100. Marathon gewinnen

Heinz Frei hatte sich eigentlich schon gedanklich auf den Weg zum Breitensport gemacht. „2000 hat es eingesetzt, ich hatte meinen Zenit erreicht und konnte meine Bestzeiten nicht weiter steigern.“ Sein hohes Niveau hielt er über die Jahre immerhin noch, und in diesem Jahr versucht er sich beim Berlin-Marathon zwar nicht an einem Geschwindigkeitsrekord, aber dafür an einer Marke für eine einzigartige Ausdauerleistung: Am Sonntag könnte der 47 Jahre alte Rollstuhlfahrer seinen 100. Marathon gewinnen. „Diese Zahl habe ich schon lange im Hinterkopf, sie ist eine ganz spezielle Motivation.“

Frei kann sich keinen besseren Ort vorstellen für seinen 100. Sieg als Berlin. Das liegt zum einen an seinen Erfolgen. Fünfzehnmal hat er den Berlin-Marathon gewonnen, davon zwölfmal hintereinander. Zum anderen gehört Frei inzwischen fest zur Veranstaltung. „Die Leute kennen mich hier wie sonst nirgendwo. Das ist schon vorher spannend, wenn sie mich ansprechen.“ Deshalb ist der Berlin-Marathon für Frei auch nicht nur ein Rennen, meist nimmt er sich für Berlin noch ein bisschen mehr Zeit, um sich etwas anzuschauen und sich in ein Café zu setzen.

Auch als Leistungssportler scheint Heinz Frei das Erlebnis mindestens ebenso zu schätzen wie das Ergebnis. „Gerade wenn ich zu Hause in der Natur fahre, bedeutet das für mich Lebensfreude und Lebensqualität.“ Die hat er sich durch den Sport mühevoll zurückerkämpft. 1978 stürzte er bei einem Berglauf in eine Schlucht und ist seitdem querschnittsgelähmt. Der Sport half ihm dabei, seine Lebenskrise zu überwinden, und daraus ist eine besondere Karriere geworden mit zahlreichen Goldmedaillen bei paralympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Der Sport als Lebensglücksbringer, das versucht Frei auch anderen Querschnittsgelähmten zu vermitteln. Eigentlich ist Frei Vermessungszeichner, doch seit einigen Jahren arbeitet er halbtags in einem Rehabilitationszentrum für Frischverletzte in Nottwil im Kanton Luzern. Manche von ihnen haben sogar noch schlimmere Lähmungen als er und können nicht einmal mehr ihre Finger einzeln bewegen. „Ich habe nicht für jeden ein Patentrezept“, sagt Frei, „aber ich versuche, ihnen immer wieder Neues und Schönes aufzuzeigen.“

Die andere Hälfte des Tages nutzt Frei zum Training. 10000 Kilometer fährt er noch jedes Jahr. „Ich habe immer lieber trainiert als Wettkämpfe bestritten“, sagt er. „Im Wettkampf setze ich mich mehr mit der Strecke und den Gegnern auseinander.“ Die Strecke in Berlin ist für ihn ein besonders guter Untergrund. „Es gibt keine Abfahrten, auf denen man sich erholen kann und keine giftigen Anstiege. Man muss permanent arbeiten“, sagt Frei. Reiner Pilz, der den Rollstuhlwettbewerb beim Berlin-Marathon organisiert, erklärt Freis Dominanz auf dieser Strecke so: „Er hat eine relativ hohe Lähmung und muss deshalb alles aus den Armen und dem Schultergelenk machen.“ Anstiege kämen ihm daher nicht gelegen und für Abfahrten sei er nicht schwer genug.

Auf der flachen und schnellen Strecke in Berlin fährt Frei meist voraus. Manchmal ist er auch schon kurz vor dem Ziel aus dem Windschatten überholt worden. „Ich muss aufpassen, dass ich mich vorne nicht kaputtfahre. Da muss ich die anderen ansprechen, dass sie auch etwas tun müssen. Es ist auch ein verbaler Kampf.“ Allmählich verliert dieser Kampf jedoch an Reiz, und Frei denkt schon an die Zeit, in der er als Breitensportler etwas entspannter im Feld mitfahren wird. Aber vorher würde Heinz Frei gerne noch einmal der beste Leistungssportler sein.

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