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Sport: Ausgleich für England

Von Benedikt Voigt London. Gestern schoss England den Ausgleich gegen Brasilien.

Von Benedikt Voigt

London. Gestern schoss England den Ausgleich gegen Brasilien. Zu spät, möchte man einwenden, die Fußball-Weltmeisterschaft ist vorbei. Nicht für den britischen Fernsehsender BBC. Dieser brachte Ronaldinhos Freistoßtreffer zum 2:1 für Brasilien im WM-Viertelfinale gegen England in Verbindung mit Tim Henmans Sieg über den Brasilianer Andre Sa. Macht Unentschieden. Was Tennis mit Fußball zu tun hat, möchte man nun weiter einwenden, doch die seltsame Rechnung beweist nur, wie sehr das Land noch immer unter dem frühen Ausscheiden bei der Fußball-WM leidet. Nur ein Mittel könnte Englands Schmerz in diesen Tagen lindern: Wenn Tim Henman als erster Engländer seit 1936 Wimbledon gewinnt. Und er hat nun gute Chancen. Deshalb wird heute das ganze Land zusehen, wenn Englands große Hoffnung versucht, gegen den Australier Lleyton Hewitt in das Finale der 125. All England Championships einzuziehen.

Es ist das Halbfinale, das alle ersehnt haben: Die Nummer vier trifft auf die Nummer eins. Schon seit einer Woche werden die Chancen des Engländers diskutiert, den Führenden der Weltrangliste zu bezwingen. Fünfmal versuchte Henman das bereits, nie gelang es ihm. Doch vielleicht hat der 27-Jährige diesmal eine Chance, mit patriotischen Zuschauern im Rücken und heimatlichem Gras unter den Füßen. Im Viertelfinale benötigte er drei Stunden und neun Minuten, ehe er den zweiten Matchball gegen den unbekannten Sa zum 6:3, 5:7, 6:4, 6:3 verwandelte. Henman wusste, dass er nicht überzeugt hatte. „Wenn ich Hewitt schlagen will, muss ich besser Tennis spielen - aber ich weiß, dass ich das kann.“ Sein Halbfinalgegner musste sich noch mehr mühen. Beim 6:2, 6:2, 6:7, 1:6, 7:5 vergab Lleyton Hewitt im dritten Satz vier Matchbälle, ehe sein fünfter Versuch erfolgreich war.

Die „Henmania“, die Begeisterung für Tim Henman, überzieht inzwischen das ganze Land. 13,1 Millionen Zuschauer sahen am Montagabend im Fernsehen live Henmans Fünfsatzerfolg im Achtelfinale. Noch nie zuvor haben so viele Briten ein Tennisspiel eingeschaltet. Wenn Henman auf dem Platz steht, ist das ganze Stadion mit Union Jacks und Sankt-Georgs-Fahnen geschmückt. Die Anfeuerung wechselt zwischen einem einfachen „Go Tim“ oder „We love you Tim“ bis hin zu praktischen Angeboten wie: „Ich mache deine Wäsche, Tim.“ Seine schwangere Frau dürfte sich über Hilfestellung freuen.

Auf dem Hügel vor der überdimensionalen Leinwand an Platz eins kann die Stimmung bei Spielen von Tim Henman durchaus mit dem Lärm auf einer Fußball-Tribüne mithalten. „Ich habe die Zuschauer bis in das Stadion gehört“, staunte Henman am Montag. Der Hügel, auf dem die Zuschauer sitzen, die keine Karten für den Centre Court oder Platz eins haben, heißt inzwischen „Henman Hill". Die Presse überschlägt sich mit Berichten über den neuen Liebling der Nation. Sogar die Riechsalzkapsel, mit der ein Arzt im Achtelfinale den magenverstimmten Henman kurierte, findet sich am nächsten Tag in Originalgröße in der Zeitung wieder.

Doch die Mission ist eine schwierige. Es reicht eben nicht, ins Halbfinale einzuziehen und dann womöglich ehrenvoll auszuscheiden. Das ist Henman 1998,1999 und 2001 gelungen. „Die ersten paar Male war das eine gute Leistung, aber diesmal ist klar, dass es nicht darum geht“, sagt Henman. Es geht um den Sieg. Noch nie konnte der Mann mit dem Schwiegersohn-Aussehen und dem daher unerklärlichen Spitzn „Tiger“ ein Grand-Slam-Turnier gewinnen. BBC-Gastkommentator Pat Cash sagte: „Wenn Henman Wimbledon gewinnt, trete ich in einem von Sue Barkers alten Tenniskleidchen in der BBC auf." Der Tag rückt näher. „Ich tue mein Bestes, ihn im Kleid zu sehen“, sagt Henman.

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