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Sport: Balotelli und die Stadt der Albträume

Mario Balotelli hatte alles versucht. Er wühlte im Strafraum, er bereitete für seine Mitspieler Kopfbälle vor und für sich selbst einen Fallrückzieher.

Mario Balotelli hatte alles versucht. Er wühlte im Strafraum, er bereitete für seine Mitspieler Kopfbälle vor und für sich selbst einen Fallrückzieher. Einmal hätte er alleine auf Joe Hart zulaufen können, doch da verstolperte er den Ball. Als es ihm zu viel wurde, trat er gegen den rechten Pfosten des englischen Tores. Dieses verdammte Metall, dieses verdammte Spiel, dieses verdammte Kiew.

Es ist etwas mehr als ein Jahr her, da traf Manchester City in der Europa League auf Dynamo Kiew. Es wurde für Mario Balotelli ein Tag, den er vermutlich aus seinem Kalender gestrichen hat. Schon das Aufwärmprogramm geriet zu einer Slapstick-Nummer. Der Italiener benötigte eineinhalb Minuten, um sich ein handelsübliches Trainingsleibchen anzuziehen. Anschließend gelang ihm im Spiel wenig. Er musste in der 57. Minute das Feld verlassen. Der Grund: eine Allergie gegen den Kiewer Rasen.

Beide Ereignisse wurden medial in epischer Breite aufbereitet. Die Leibchen-Szene hat bis heute sechs Millionen Abfragen auf Youtube erreicht. Sein Mitspieler Edin Dzeko parodierte sie sogar ein paar Tage später. Doch Balotelli hat bekanntermaßen ein ausgeprägtes Ego, er würde die Dinge schon wieder zurechtrücken. Allein, das Rückspiel verlief noch fataler. Balotelli musste dieses Mal schon nach 36 Minuten den Platz verlassen – er hatte Goran Popov mit einem Kung-Fu-Tritt niedergestreckt.

Nun, im EM-Viertelfinale, kehrte Mario Balotelli nach Kiew zurück. Und er überließ nichts dem Zufall. Einen Tag vor dem Spiel erschien er unangekündigt auf einer Pressekonferenz. Als er dort neben Trainer Cesare Prandelli und Innenverteidiger Andrea Barzagli saß, glänzte alles an ihm. Am linken Handgelenk eine goldene Uhr, am rechten ein silbernes Kettchen, dazu jeweils zwei Brillis im Ohr. Und er biss sich auf die Lippen bei Sätzen wie: „Schön für Joe Hart, dass er zwei Balotellis kennt.“

Mario Balotelli ist 20 Jahre alt. Mit Geschichten über ihn könnte man bereits drei Biografien füllen. Die meisten handeln von Geld, Autos oder Frauen. Einmal fand ein Polizist 5000 Pfund im Handschuhfach seines Wagens und fragte nach dem Grund für diese hohe Summe. Balotelli sagte: „Weil ich sehr reich bin.“ Ein anderes Mal ließ er sich von Mafiabossen ein berüchtigtes Drogenviertel in Neapel zeigen. Dies tat er nicht, weil er sehr reich ist, sondern „aus Neugier“, wie er später erzählte. Vor wenigen Monaten präsentierte er nach einem Tor gegen Manchester United ein Shirt unter seinem Trikot, darauf geschrieben stand: „Why always me?“

Und warum immer Kiew? Mario Balotelli hatte durchgehalten, keine Rasenbeschwerden, keine Kung-Fu-Tritte, selbst mit dem Leibchen hatte alles geklappt. Doch nun, nach 120 Minuten, stand es 0:0, und Mario Balotelli wirkte mit seiner blondierten Kamm-Frisur ein wenig wie ein Loveparade-Teilnehmer von 1995. Würde Italien gegen die harmlosen Engländer ausscheiden? Würde Kiew die Stadt seiner Albträume bleiben? Balotelli trat zum Elfmeterpunkt und schoss den Ball in die linke untere Ecke des Tores. Dann ballte er die Fäuste und streckte sie in den Himmel von Kiew.

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