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Der Pendler. Wie die meisten Tennisprofis ist Benjamin Becker meist auf zweitklassigen Turnieren unterwegs.

© Imago/Hauer

US Open: Ben Becker und das Minus im Millionengeschäft

Benjamin Becker gehört zum Tennis-Prekariat. "Ich hätte gern vier Millionen auf meinem Konto", sagt der Saarländer. Bei Turnieren wie den US Open kämpfen Spieler wie Becker um ihre Existenz.

Entkommen kann Benjamin Becker nicht. Schon bei seiner Ankunft in Flushing Meadows lief im Akkreditierungsbüro auf den Bildschirmen seine Drittrundenpartie bei den US Open von 2006. Kaum ein Match wird in den USA öfter wiederholt. An jenem Tag schickte Becker Amerikas Tennisliebling Andre Agassi in Rente. Und seither ist er der Mann, der Bambi erschoss. Der Vergleich stammt von seinem Kollegen Andy Roddick. Dieses Etikett haftet Becker an, seit zehn Jahren.

„Ich fühle mich immer noch etwas schlecht, dass ich Agassi runtergeschickt habe“, sagt Becker. „So ein kleiner Bub aus Deutschland, der gerade vom College kam und zum ersten Mal bei den US Open spielen durfte.“ Becker weiß noch, wie unwirklich sich alles angefühlt hatte. Aber für ihn zählten sowieso andere Aspekte, als „Agassi zu schlagen, der nicht mehr ganz so fit war“: Becker war gerade mit 25 Jahren als später Quereinsteiger auf die Tour gekommen, erreichte mit dem Sieg das Achtelfinale und knackte so die Top 100 – welch’ ein Einstieg. Und doch war und ist er vor allem der „Bambi-Killer“.

Das sei auch okay so. Nur manchmal nerve es ihn ein bisschen. Immer dann, wenn er das Gefühl bekommt, dieses Match ist alles, mit dem ihn die Leute verbinden. Zu einem Grand-Slam-Turniersieg hat es Becker ja nicht gebracht, und schließlich sind es nur die Champions, die wahrgenommen werden. Dabei hat Becker eine gute Karriere hingelegt, mit einem Titelgewinn und Einsätzen im Davis Cup. Bis auf Rang 35 hatte er es vor zwei Jahren in der Weltrangliste geschafft. Doch so wie dem gebürtigen Saarländer ergeht es vielen Tennisprofis, die sich im Bereich von Platz 40 und 150 der Weltrangliste bewegen. Djokovic, Federer, Nadal und Murray sind der ultimative Maßstab. Dazu prägt sich das fabelhafte Luxusleben der Topstars ein, von dem Spieler wie Becker aber nur träumen können. Für viele ist Tennisprofi-Sein ein Minusgeschäft.

Tennis-Profi zu sein, bedeutet für viele ein Minus-Geschäft

„Ich hätte gerne vier Millionen Dollar auf meinem Konto“, sagt der 35-Jährige. So viel hat er in seiner Karriere an Preisgeld gewonnen und das klingt, als habe er ausgesorgt. Mitnichten: Die Steuern gehen ab, dazu muss Becker jährlich hohe Fixkosten zahlen für Reisen, Trainer, Ausrüstung. „Pro Saison sind das etwa 125 000 Dollar“, sagt er. „Und das bedeutet Druck, denn dieses Geld muss erstmal reinkommen. Man muss ja seine Familie ernähren.“ Anfangs sei ihm das gar nicht so bewusst gewesen. Ohne den Vorschuss eines privaten Sponsors hätte er es nicht auf die Tour geschafft. Wer professionell ist und sogar für ein paar Wochen im Jahr einen Physiotherapeuten beschäftigt, macht meist Miese. Spieler aus reichen Verbänden wie die Franzosen, Australier oder Chinesen bekommen dagegen jede Unterstützung. Ihr Weltranglistenplatz ist oft nicht besser, aber ihr Alltag leichter und die Sorgen geringer. Vom Deutschen Tennis-Bund brauche man nichts zu erwarten, sagt Becker.

Für ihn heißt das Woche für Woche um Punkte und Preisgelder kämpfen, um die Existenz und mit dem Druck: Bloß nicht verletzen, denn dann verdient man nichts. Als Becker 2011 der Ellbogen plagte, fiel er sieben Monate aus. „Meine Frau hat gearbeitet, daher ging es“, sagt er, „man hätte eine teure Versicherung abschließen können, die hatte ich aber nicht.“

Nach seiner Rückkehr spürte Becker noch mehr Druck, schnell den Anschluss wiederzufinden. Denn die Fixkosten bleiben. Umso wichtiger sind die Grand- Slam-Turniere, hier hat sich seit Becker anfing das Preisgeld verdoppelt. In der ersten Runde der US Open gibt es 43 313 Dollar zu verdienen. „Klar, das klingt viel“, sagt er, „aber damit muss ich die nächsten Wochen finanzieren.“ Auf den kleinen Turnieren gibt es nur wenig zu holen, man deckt die Reisekosten. Derzeit ist Becker die Nummer 96 der Welt. Im Luxus schwelgt er ohnehin nicht, er spart, wo er kann. Jahrelang wohnte er auch mal bei Gastfamilien statt im Hotel, teilte sich Trainer und Physios mit anderen Profis.

Das College-Leben hat Becker abgehärtet, besonders für den Einstieg. Sein erstes Turnier war in Ecuador. „Fahrservice gab es nicht, ich musste ein Taxi zur Anlage nehmen, bei dem fehlte die Beifahrertür und er fuhr wie der Henker. Das war lebensgefährlich. Zwei Tage später fand ich in meinen Spaghetti einen Nagel.“

Er fragte sich damals, wie lange er das eigentlich durchhalten will. Seinen Traumjob. Aber Becker ist immer noch da. Weil er den sportlichen Ehrgeiz hat und am Ende nichts bereuen will. Einmal in Wimbledon die dritte Runde erreichen, das möchte er noch schaffen. Es hört sich nicht großartig an, aber einer wie Becker lebt nicht nach Federer-Normen. „Alle außer einem verlieren jede Woche. Darauf bereitet dich keiner vor, wie man damit umgeht. Das nagt an dir.“ Vermutlich gehört Becker auch in New York zu den Verlierern, er spielt an diesem Dienstag gegen den starken Japaner Kei Nishikori. Aber vielleicht flimmert auch dieses Match in zehn Jahren noch durch die Wohnzimmer.

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