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Sport: Beständig wie das isländische Wetter

Mal Sonnenschein, mal Regen: Deutschlands letzter Hauptrundengegner ist stark – und unberechenbar

Nein, überheblich ist Olafur Stefansson nun wahrlich nicht. Das würde auch kaum zu einem Isländer passen, wenngleich eine Aussage des Linkshänders so hätte interpretiert werden können. Als der Handball-Star vom spanischen Champions-League-Sieger Ciudad Real auf seine Schulterverletzung im Wurfarm angesprochen wird, antwortet er: „Für die WM-Spiele reicht es noch.“ Nach fünf Spieltagen liegt der Rekordtorschütze Islands in der WM-Wertung mit gerade mal 25 Treffern, davon elf per Siebenmeter, auf dem enttäuschenden 20. Platz. Leichter wird das Spiel gegen Island für die deutsche Mannschaft zum Abschluss der Hauptrunde am Sonntag durch Stefanssons Verletzung aber nicht. Dies belegt ein Blick auf eine andere Statistik: Stefansson führt die Rangliste der Torvorbereiter an.

Als Regisseur ist der 33-Jährige eine der schillernden Erscheinungen dieser Weltmeisterschaft und steht auf einer Stufe mit dem kroatischen Genie Ivano Balic oder dem überraschend starken Jose Maria Vaquero aus Spanien. „Um Stefansson dreht sich das ganze Spiel der Isländer, die mit Herz und Kampfgeist jeden Gegner besiegen können“, urteilt Bundestrainer Heiner Brand über den letzten Hauptrundengegner. Den Beweis dafür haben sie bei dieser WM in der Vorrunde gegen Frankreich geliefert. Als ihnen nach der Auftaktniederlage gegen die Ukraine schon die Hoffnungsrunde drohte, besiegten sie den Europameister. „Ich habe gemerkt, dass es im Team knistert und deshalb den Spielern gesagt, sie sollen nicht auf die Anzeigetafel schauen, nur einfach alles aus sich herausholen“, erzählt Alfred Gislason. Der kritische Moment wurde überstanden.

Das frühzeitige Ausscheiden aus dem Medaillenkampf wäre für Island, wo Handball Nationalsport ist, eine Katastrophe gewesen. Und Gislason, dessen Vertrag als Nationaltrainer Islands im Sommer ausläuft, wollte sein Engagement schließlich nicht mit der Teilnahme am „Presidents Cup“ beenden, der Trost- und Platzierungsrunde, bei der es bestenfalls um den 13. Rang geht. Da stand man bereits bei der EM 2004, noch schlechter war die WM 2005 mit Rang 15 gelaufen.

Angesichts des immensen Potenzials des Isländer verwundern solche Resultate. Olafur Stefansson hat dafür eine eher philosophische Erklärung. „Wir spielen wie das isländische Wetter“, sagt der ehemalige Magdeburger, „mal wie Regen, mal wie Sonnenschein.“ Auch bei dieser WM ist Island durchaus unbeständig. Nach der großen Hitzewelle gegen Frankreich folgte prompt ein kühler Guss in Form eines 33:35 gegen Polen. Mit einem Sieg wäre Island bereits für das Viertelfinale qualifiziert gewesen. Auch Stefansson konnte weder aus dem rechten Rückraum noch in der Deckung daran etwas ändern.

Warum die isländische Nationalmannschaft noch kein dauerhaftes Hoch erreichen kann, hat Trainer Gislason gegen Polen erkannt: „Wir haben nicht genügend Alternativen auf der Wechselbank.“ Während die Stammformation mit Stars aus der Bundesliga und der höchsten spanischen Liga glänzend besetzt ist, fehlt es an gleichwertigem Ersatz in der zweiten Reihe. Je länger das WM-Turnier dauert, desto deutlicher wird dieses Manko. Der aufwändige Kampfstil Islands fordert schneller seinen Tribut als bei den anderen Top-Teams. Unter diesem Aspekt ist auch die Furcht von Alfred Gislason vor der deutschen Mannschaft zu verstehen, wenn er sagt: „Die Deutschen sind eine Turnier-Mannschaft. Mir wäre es viel lieber gewesen, früher gegen sie zu spielen als am Sonntag. Dann harmoniert sie wahrscheinlich noch besser.“ Der 47-jährige Gislason weiß, wovon er spricht. Er ist ein exzellenter Kenner des deutschen Handballs: Nach Jahren als Trainer beim SC Magdeburg, mit dem er Deutscher Meister wurde und die Champions League gewann, coacht er nun den VfL Gummersbach. Zuvor war der studierte Historiker selbst ein gefürchteter Rückraumschütze in der Bundesliga.

In Sachen Leidenschaft auf dem Spielfeld stehen die deutschen Spieler den Isländern mittlerweile tatsächlich nicht mehr nach. Einen Spielgestalter vom Format des Olafur Stefansson haben sie jedoch nicht in ihren Reihen. In Logi Geirsson, der beim TBV Lemgo unter Vertrag steht, verfügt Island sogar noch über einen zweiten starken Regisseur.

Den Sieg gegen Deutschland allerdings hat Olafur Stefansson zur Chefsache gemacht. Trotz ramponierter Schulter treibt ihn eine selbst auferlegte Verpflichtung bei dieser WM nach vorn. „Wir haben schließlich in der Qualifikation den Rekordweltmeister Schweden ausgeschaltet. Da können wir doch jetzt nicht enttäuschen“, sagt er. Ganz Island hofft, dass die Sonne mal ein bisschen länger scheint.

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