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Mit Keule. Jacoby Jones von den Baltimore Ravens lässt es sich schmecken.

© Imago

Big Four - Die US-Sport-Kolumne: Es ist noch Truthahn da!

Seit 1920 wird in den USA an Thanksgiving Football gespielt. In Sachen Tradition kann die Community unseres Autors da natürlich nicht mithalten, auch wenn sie sich mittlerweile seit zehn Jahren zu diesem inoffiziellen Feiertag trifft. Ein Erfahrungsbericht.

Der Spruch des Abends kam mal wieder von Günter Zapf. Womöglich hat Deutschlands zweifellos bester Football-Kommentator damit zwar ein paar besonders hartnäckige Vegetarier respektive Veganer vergrätzt, aber sind wir mal ehrlich: Viele von ihnen werden die Übertragung aus der US-amerikanischen National Football League (NFL) ohnehin nicht gesehen haben an diesem Abend. Nachdem Dutzende fröhlich-fressende Truthähne von den Kameraleuten eingefangen und auf die TV-Bildschirme der Welt projiziert worden waren, sagte Zapf jedenfalls: „Wenn das aktuelle Bilder sind, dann haben es diese Tiere im Gegensatz zu vielen Artgenossen geschafft.“

An jedem vierten Donnerstag im November, in den USA auch bekannt als „Thanksgiving“, gehört mit allerlei Leckereien gefülltes Federvieh nämlich ebenso zum Kulturgut der Staaten wie Footballspiele an diesem Feiertag. Seit der Gründung der NFL im Jahr 1920 wird an Thanksgiving Football gespielt, da sind die Amerikaner gnadenlose Traditionalisten, genau wie bei der Auswahl der Klubs: Mit zwei Ausnahmen haben die Dallas Cowboys seit 1966 stets am wichtigsten Familienfest des Landes ins Spielgeschehen eingegriffen, die Detroit Lions pflegen diesen Brauch sogar schon seit 1934.

Zugegeben: Da kann unsere kleine, aber ausgesprochen verrückte Berlin-Brandenburger Football-Community natürlich nicht mithalten, wenngleich seit unserer ersten Thanksgiving-Zusammenkunft auch schon ein Jahrzehnt ins Land gegangen ist. Damals, zu besten Studenten-WG-Zeiten, bestand die Absicht zwar in erster Linie darin, uns einen zusätzlichen Feiertag zu schaffen, an dem man gemeinsam rumhängen, dummschwätzen und Bier trinken kann. Dafür ist im Studium ja bekanntlich wenig Zeit. Heute geht es da vergleichsweise gesittet zu. Wo 2003 noch Dosenbier auf dem Tisch stand, liegen 2013 Untersetzer unter den Gläsern. Ein herrlicher Brauch sind die Treffen trotzdem – oder gerade deshalb? – geworden.

Zumal ein geschätzter Freund und Kollege aus der Tagesspiegel-Sportredaktion seit drei Jahren richtig groß auftischt zu Thanksgiving, und zwar im wahrsten Sinne. Vergessen sind die Tage des Asia-Lieferservices, des Ein-Euro-Döners, der Tiefkühl-Pizza. In leicht abgewandelter amerikanischer Tradition gibt es echte Landpute aus dem Mecklenburgischen, die einem Truthahn im Ofen zumindest optisch sehr nahe kommt und geschmacklich auch nicht so weit entfernt liegt. Dazu werden alljährlich Süßkartoffeln und Möhrchen serviert, zum Nachtisch gibt es Kürbiskuchen. Ohne noch weiter ins Detail gehen zu wollen: Es ist eine Orgie wie an allen drei Weihnachtsfeiertagen zusammen, die von hochklassigem Sport abgerundet wird. Persönliche Abrundung inklusive.

So sehr sich die kulinarische Versorgung mittlerweile auch von einstigen WG-Standards entfernt hat (Gott sei Dank!), eines ist über die Jahre so gleich geblieben wie unsere Runde: Genächtigt wird immer auf der Couch des Gastgebers, weil der a) mittlerweile im Land Brandenburg lebt und b) das letzte von drei Spielen zu einer Zeit endet, da bei normalen Menschen fast schon der Wecker klingelt: gegen halb sechs. Was wiederum den Vorteil bringt, dass die nächste Mahlzeit garantiert ist. In den letzten Jahren war der Vogel nämlich so groß, dass wir die Schenkel entfernen mussten, um ihn in den Ofen stopfen zu können. Trotzdem hieß es am nächsten Morgen immer: Es ist noch Pute da!

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