zum Hauptinhalt

Sport: Boca reist nach Tokio zum Weltpokal: Der größte Fan bleibt daheim

Solche Szenen wie die in Schiphol haben sich am Sonntag und Montag auf fast allen Großflughäfen Europas abgespielt. Dass plötzlich Menschen in blau-gelben Trikots Schirme in eben diesen Farben aufspannten, sangen und tanzten.

Solche Szenen wie die in Schiphol haben sich am Sonntag und Montag auf fast allen Großflughäfen Europas abgespielt. Dass plötzlich Menschen in blau-gelben Trikots Schirme in eben diesen Farben aufspannten, sangen und tanzten. Es handelte sich bei jenen argentinischen Reisegruppen nicht um irgendwelche Regenmacher oder Folklore-Gruppen; die Fans von Boca Juniors machten bei ihren Zwischenlandungen nur das, was viele Fußball-Anhänger tun, die weit verreisen, und sich, je näher sie der Bestimmung kommen, mit heimischen Chorälen Mut ansingen müssen. Denn Tokio ist kein guter Platz für Fußball-Teams aus Südamerika. Wenn in dem alten und ehrwürdigen Olympiastadion von 1964 der Weltpokalsieger oder Toyota-Cup-Gewinner ausgespielt wurde, haben zuletzt fünfmal hintereinander die europäischen Vertreter die riesige Trophäe eingepackt.

Ein Großteil der Stars von Real Madrid kennt die Ehrenrunde und das Feuerwerk über der japanischen Metropole noch vom 12. Dezember 1998. Damals haben die Spanier ihren Torwart Bodo Illgner ein paarmal als Retter gebraucht. Der Dino von Beckenbauers Weltmeistern ist mittlerweile brav zurückgerückt ins zweite Glied, während der andere Held jener Nacht immer noch strahlt. Raul hat seinerzeit gegen die Brasilianer von Vasco da Gama das 2:1 geschossen und dafür vom Sponsor des Wettbewerbs einen Mittelklassewagen gekriegt.

Dabei kann Raul überhaupt keine Hondas, Toyotas und Mitsubishis mehr sehen. Bei der Pressekonferenz am Sonntag wollte Raul kein Wort über Fußball verlieren. Stattdessen hat der Torjäger die gesamte Automobilindustrie im Land der ewig leuchtenden Scheinwerfer und brummenden Motoren verflucht. Drei Stunden brauchte der Bus mit den Real-Stars vom Hotel zum Training, dabei gilt ja Madrid schon als die Königin der Straßenschnecken. Während der Stoßzeiten beträgt das durchschnittliche Kriechtempo sieben Kilometer pro Stunde.

Die Besucher aus Amerika nehmen sich mehr Zeit. Und sind auch viel freundlicher. Sie kommen wie jedes Jahr mindestens eine, manchmal sogar drei Wochen vor dem Wettbewerb, der in Brasilien und Argentinien allerhöchsten Stellenwert genießt. Der Sieg über den Champions-League-Gewinner kommt im amerikanischen Teil des Fußballs gleich nach der richtigen WM. Und Leute wie der Trainer Carlos Bianchi, der ja zu den Bekannten der Branche gehört, wollen überhaupt nicht aufhören, jenes Thema zu diskutieren, das nun wie ein Stigma an seinen Landsleuten und den Nachbarn aus Brasilien haftet. "Man kann nicht behaupten, in Europa wird besserer Fußball gespielt als in Südamerika, nur weil in Tokio in den vergangenen Jahren Manchester United, Real Madrid, Borussia Dortmund, Juventus Turin und Ajax Amsterdam gewonnen haben", sagt Bianchi. "Sie sind nicht besser, sie haben nur viel mehr Geld."

Bianchi war übrigens der Letzte, der den Erdteilkampf gegen das Großkapital gewonnen hatte. Auf dem Mannschaftsfoto von Velez Sarsfield ist auch der kleine José Horacio Basualdo zu erkennen. Der ist seinem Mentor in die Hauptstadt gefolgt und steht auch mit 37 Jahren noch in der Stammformation. Nene, wie Basualdo in Argentinien auch genannt wird, könnte eines der aufregendsten Fußball-Bücher schreiben. Er war lange Zeit der Adjutant Maradonas in der Nationalmannschaft, rannte und rackerte für das geniale und verrückte Dickerchen.

Der berühmteste Spieler, der jemals das Boca-Hemd trug, muss den Triumph oder das Leiden der alten Kameraden am Fernsehen verfolgen. Das sittenstrenge Japan lässt keinen aktenkundigen Kokser ins Land, selbst wenn der Diego Maradona heißt. Womit sich dann auch Basualdos Kreis zu Christoph Daum und Deutschland schließt. Als der noch nicht der verschnupfte Daum war, sondern nur ein erfolgsbesessener Jung-Trainer, hat er gleich bei seinem Amtsantritt beim VfB Stuttgart Basualdo rausgeworfen. Nicht etwa, weil er den nicht mochte, sondern weil Daum am prominentesten Spieler der Mannschaft ein hierarchisches Exempel statuieren wollte. Und Basualdo, der kaum Deutsch sprach, konnte sich am wenigsten wehren. Später hat Daum dies gern als psychologischen Trick verkauft.

Doch nun hat der brave Nene alle überlebt, die immer im Licht oder unter Strom standen. Ob Maradona oder Daum. Und er hat im biblischen Fußball-Alter noch einmal eine Chance bekommen. Wer gegen das Real der Figos, Rauls und Roberto Carlos in Japan gewinnt, der kann in Südamerika abtreten. Als Nationalheld oder Denkmal.

Martin Hägele

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false