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Bundesliga: Hannover 96: Slomka folgt auf Bergmann

Hannover 96 entlässt den als zu weich geltenden Trainer Andreas Bergmann, auf den Mirko Slomka folgt. Slomka soll den Bundesligisten vor dem Abstieg retten.

Ein besonders frecher Kameramann hielt sein Objektiv direkt in den Kabinengang. „Unglaublich, was hier schon wieder los ist“, sagte der wütende Mittelfeldspieler Hanno Balitsch und rang um seine Fassung. Dass Hannover 96 zwei Monate nach dem Suizid von Robert Enke schon wieder im Fokus der Öffentlichkeit steht, hat immer noch mit der Tragödie um den Nationalspieler zu tun. Weil die Mannschaft seit Enkes Suizid sieglos bis auf Platz 16 der Fußball-Bundesliga abgerutscht ist, wurde Trainer Andreas Bergmann am Dienstagmorgen beurlaubt. Aus Angst vor dem Abstieg hat der Klub in Mirko Slomka, der im August 2008 bei Schalke 04 entlassen worden war, den dritten Trainer in dieser Saison verpflichtet.

„Die Mannschaft und ich müssen uns schnell aneinander gewöhnen“, weiß Slomka, der in Hannover einen bis 2011 laufenden Vertrag erhält. Die Stimmung im Team ist angesichts der turbulenten Tage äußerst gereizt. Seit Samstag hatte die Mannschaft, die sich mit einer 0:3-Heimpleite zum Start in die Rückrunde gegen Hertha BSC blamiert hatte, noch an den Verbleib ihres einfühlsamen Trainers glauben dürfen. Aber Bergmann, der sich nach dem Tod von Enke mit viel Fingerspitzengefühl der offenbar traumatisierten Mannschaft angenommen hatte, ist der Vereinsführung zuletzt nicht hart genug gewesen. „Wir hatten nicht mehr das Gefühl, dass Andreas Bergmann der Mannschaft noch die nötigen Impulse für den Verbleib in der Bundesliga geben kann“, sagte Sportdirektor Jörg Schmadtke. Während die Mannschaft nach einem Jogginglauf am Morgen gebeten wurde, den Medienvertretern ihre Sicht der Dinge zum Trainer-Rauswurf zu schildern, war Schmadtke an der Seite von 96-Präsident Martin Kind längst mit dem Casting des Nachfolgers beschäftigt. Dass die Beurlaubung von Bergmann schon vor zwei Tagen beschlossene Sache war, hatten die Spieler nicht geahnt. „In der Mannschaft war eine Trennung von ihm kein Thema“, sagte der neue Kapitän Arnold Bruggink voller Frust und sprach von einer Mitschuld der Spieler am frühen Scheitern des Trainers.

Die Bundesliga-Karriere des Andreas Bergmann, der bei den Niedersachsen erst im August 2009 vom Amateur- zum Profitrainer befördert worden war, hat ein ebenso schnelles wie bemitleidenswertes Ende gefunden. Als Nachfolger von Dieter Hecking war ihm zunächst sehr gute Arbeit bescheinigt worden. Als nach der Beisetzung von Enke aber klar wurde, dass die Mannschaft nicht mehr wie gewünscht funktioniert, verlangte Vereinsboss Kind von dem 50 Jahre alten Späteinsteiger deutlich mehr Härte. Die Mannschaft sollte schon im Heimspiel gegen Liga-Schlusslicht Hertha wieder „laufen, spucken und kämpfen“.

Doch das zerrüttete 96-Ensemble, dem Sportdirektor Schmadtke zuletzt sogar Leistungen auf dem Niveau einer Betriebssportgruppe bescheinigte, wirkte wie gelähmt. Weil Bergmann zu weich war? Oder weil Enke noch in allen Köpfen ist? „Die Mannschaft hat an dem Thema Enke zu knabbern gehabt. Aber als Ausrede hat das bei uns nichts zu suchen“, beteuerte Mittelfeldspieler Christian Schulz.

In der Frage, ob und wie den 96-Profis auf ihrem Weg zurück in die Normalität geholfen werden könnte, haben die Entscheider in Hannover einen recht direkten Weg gewählt. Der Aufforderung an die Spieler, die Tragödie von Enke nicht mehr öffentlich zum Thema zu machen, war die Entscheidung der Vereinsführung gefolgt, das riesige Enke-Trikot aus dem Stadion zu entfernen. Kaum war das Stück Erinnerung abgehängt, gab es aber nur noch ein Thema in und um Hannover: den Enke-Faktor, der 96 belastet. „Es gibt keine Zeit in dieser Phase der Saison, liebevoll miteinander umzugehen“, findet Verteidiger Steven Cherundolo mit Blick auf den Konkurrenzkampf in der Liga. Der Amerikaner meint, dass bei aller Trauer um Enke endlich alle in seiner Mannschaft verstehen müssten, in welcher prekären Lage man sich mittlerweile befinde.

Auch die Profis von 96 sind zu bemitleiden. Aber sie haben wenig Zählbares dazu beigetragen, um Bergmann den Rücken zu stärken. Während der beurlaubte Übungsleiter („Ich bin sehr enttäuscht, dass ich nicht mehr auf die Krise reagieren durfte“) in Ruhe überlegen darf, ob er im Sommer auf seinen früheren Posten als Leiter des Nachwuchszentrums in Hannover zurückkehrt, bekommt die Mannschaft heute ihren nächsten Anführer. Slomka hat nach seiner Demission bei Schalke 04 erstaunlich lange gebraucht, um einen neuen Job zu finden. In Hannover, wo der 42-Jährige 1989 als Jugendtrainer seine Laufbahn begann, traut man ihm zu, „den Abstieg zu verhindern und die 96-Mannschaft der Zukunft zu entwickeln“, wie es Schmadtke formulierte. Echte Freude darüber, dass dem netten Herrn Bergmann der smarte Herr Slomka folgt, muss bei den sichtlich demoralisierten 96-Profis aber erst noch entfacht werden.

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