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Sport: Chronik einer Chefsache

Deutschlands Suche nach einem Bundestrainer

23.Juni . Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft verliert im letzten Gruppenspiel der EM in Portugal 1:2 gegen das tschechische Reserve-Team und scheidet aus. Noch in der Nacht sitzt Rudi Völler im Mannschaftsquartier in Almancil mit DFB-Präsident Mayer-Vorfelder und anderen Funktionären zusammen und bietet an zurückzutreten. Niemandem gelingt es, den Teamchef umzustimmen.

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24.Juni . Rudi Völler erklärt auf einer Pressekonferenz am Morgen seinen Rücktritt als Teamchef. „Jetzt muss es jemand machen, der unbefleckt ist“, sagt er. Die Nachfolge scheint klar. Der frühere Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld steht offenbar bereit. Hitzfeld sagt, es wäre „eine logische Folge für mich, Bundestrainer zu werden“.

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30. Juni . „Sport-Bild“ meldet: „Alles perfekt mit Hitzfeld. Vier Millionen pro Jahr – seine Frau muss nur Ja sagen.“

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1. Juli . Um Punkt 13 Uhr sendet die Deutsche Presse-Agentur eine Eilmeldung. Ihr Inhalt: Ottmar Hitzfeld wird nicht Bundestrainer. „Ich bin derzeit nicht in der Verfassung, die nötig ist, der deutschen Nationalmannschaft bis zur WM 2006 weiterzuhelfen“, heißt es in einer Erklärung, die Hitzfeld in seinem Schweizer Urlaubsort abgibt. Der DFB ist ratlos. Mit der Absage hat niemand gerechnet. „Das ist die Stunde null“, sagt ein Funktionär. „Wir haben keinen Plan B“, sagt Mayer-Vorfelder.

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4.Juli . Ein Deutscher ist Europameister. Griechenland mit Trainer Otto Rehhagel besiegt Portugal im Finale in Lissabon sensationell mit 1:0. Der 65-jährige einstige Coach von Werder Bremen und Kaiserslautern ist nun aussichtsreichster Kandidat für den Bundestrainer-Posten. Außerdem werden immer wieder neue Namen genannt: Arsène Wenger, Guus Hiddink, Morten Olsen, Christoph Daum, Volker Finke, Thomas Schaaf, Holger Osieck. Ein Name ist nicht dabei: Michael Skibbe. Völlers Assistenztrainer gibt aber trotzdem bekannt: „Ich stehe nicht zur Verfügung.“

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5. Juli: Im Machtkampf an der DFB-Spitze erzielt die eigens eingerichtete Schlichtungskommsion einen Kompromiss. DFB-Präsident Mayer-Vorfelder soll ab Oktober mit dem bisherigen Schatzmeister Theo Zwanziger ein geschäftsführender Präsident zur Seite gestellt werden. Mayer-Vorfelder war wegen seiner Alleingänge bei der Trainersuche („Das ist Chefsache“) scharf kritisiert worden. Am Abend bildet sich eine Gruppe aus Mayer-Vorfelder, Vizepräsident Franz Beckenbauer, Generalsekretär Horst R. Schmidt und Liga-Chef Werner Hackmann. Ein Wortungetüm wird in die Welt gesetzt: die „Trainerfindungskommission“.

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10.Juli . Am Tag als Inge Meysel stirbt, klingelt bei Franz Beckenbauer das Telefon. Es ist Otto Rehhagel. Er teilt dem WM-Cheforganisator mit, dass er seinen Vertrag in Griechenland erfüllen wird. Nach zweieinhalb Wochen Trainersuche ist der DFB wieder am Anfang. „Wir hatten uns so sehr auf Rehhagel versteift, dass keine anderen Gedanken Platz hatten“, sagt Beckenbauer.

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11.Juli. Nach der Absage Rehhagels kommt ein weiterer Name ins Gespräch: Lothar Matthäus. Der hat zwar erst wenig Erfahrung als Trainer gesammelt – bei eher zweitklassigen Mannschaften in Wien, Belgrad und Ungarn – sagt aber: „Ich werde sicher helfen, wenn man mich braucht.“ Über seiner Kolumne in der „Sport-Bild“ steht: „In bin alt genug als Bundestrainer.“ Trotz Matthäus’ hartnäckiger Eigenwerbung bleiben der dänische Nationaltrainer Morten Olsen und der Holländer Guus Hiddink vom PSV Eindhoven Favoriten für den Trainerposten. Das Problem: Beide haben laufende Verträge.

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14.Juli . Die Holländer sind schneller als die Deutschen. Marco van Basten wird neuer Nationaltrainer der Niederlande. Der 39 Jahre alte frühere Stürmer hat zwar wenig Erfahrung, ist aber bei den Fans sehr beliebt. Noch weiß niemand, dass sich der DFB für eine ähnliche Lösung entscheiden wird. Inzwischen steigt die Verzweiflung. Sogar diejenigen , die sich immer wieder selbst ins Gespräch bringen , gelten nun als ernsthafte Kandidaten. Neben Matthäus ist das vor allem Kameruns Nationaltrainer Winfried Schäfer.

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16. Juli . In einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ übt Jürgen Klinsmann harte Kritik am DFB. Er fordert einen Manager für die Nationalelf. „Im Prinzip müsste man den ganzen Laden auseinander nehmen“, sagt der frühere Stürmer.

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20.Juli . Die ausländischen Kandidaten haben offenbar abgesagt. Auch Matthäus und Schäfer bekommen im DFB keine Mehrheit. Stattdessen verhandeln Mayer-Vorfelder und Schmidt in New York mit Klinsmann. Der sagt zu, dem DFB helfen zu wollen.

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24.Juli . Genau einen Monat nach Völlers Rücktritt ist ein neuer Teamchef gefunden. Klinsmann gibt bekannt, dass er die Aufgabe übernehmen will.

Steffen Hudemann

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