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Das Behelfsstadion in Düsseldorf: Lego für Profis

Union Berlin spielt heute in Düsseldorf - in einem Stadion, das nur für vier Spiele gebaut wurde: Die Düsseldorfer Variante ist einzigartig, vielleicht auch zukunftsweisend

Von Katrin Schulze

Wenn man so will, ist es nichts anderes als Lego für Erwachsene. Die Dimension ist eine andere, natürlich, wir reden von einem Fußballstadion, und gewiss geht auch mehr Geld drauf. Das Prinzip allerdings, das ist das gleiche. Ein paar Steinchen, genauer gesagt Module, werden nach dem Baukastenprinzip zusammengesetzt und zu einem Gebäude getürmt, nur um irgendwann, wenn die Lust oder der Nutzen daran vergangen ist, wieder auseinandergenommen zu werden und im Karton zu verschwinden.

Insgesamt vier Spiele – mehr wird es im Düsseldorfer Behelfsstadion nicht geben. Und das alles wegen Lena. Weil die junge Dame am 14. Mai in der Heimspielstätte von Fortuna Düsseldorf ihren Europameistertitel im Singen verteidigt, hat eine Firma aus der Schweiz in unmittelbarer Nachbarschaft ein Ausweichquartier für den Zweitligisten hingestellt. Innerhalb von nur 50 Tagen entstand im Stadtteil Stockum ein den Auflagen der Deutschen Fußball-Liga entsprechendes Stadion mit allem drum und dran – Vip-Zelt und Dopingkontrollkabine inklusive.

Architektonischer Wahnsinn

Es ist ein architektonischer Wahnsinn genauso wie es eine architektonische Meisterleistung ist, immerhin hat es so etwas in Deutschland überhaupt noch nicht gegeben. Von einem „einzigartigen Projekt“ spricht Rainer Müller, und davon, dass „es das in dieser Form vorher noch nie gegeben hat und auch in der Zukunft nicht geben wird“.

Mit Schlips und Anstecknadel, die ihn als Mitarbeiter der „Sportstadt Düsseldorf“ ausweist, führt Müller über das Gelände. Über den Untergrund aus Rindenmulch hinweg geht es hinein in den Sportstättenbau der fußballerischen Neuzeit. Unten liegt frischer von Steh- und Sitzplatztribünen umgebener Rasen, oben schnurren im Minutentakt Flugzeuge des Namenssponsors fürs Übergangsstadion vorbei. Und der Mann vom Sportamt wird gefühlig. „Es ist schon ein merkwürdiges Gefühl zu wissen, dass dieses Stadion bald nicht mehr stehen wird“, sagt Rainer Müller, während er sich noch mal einen Rundblick durchs Viereck genehmigt.

Plump gesprochen ist das Provisorium nur eine Miniaturversion der benachbarten Arena. Denn wenn am heutigen Freitag der 1. FC Union zum ersten Zweitligaspiel in der Arena gastieren wird, blickt der Stehplatzfan der Fortuna aus derselben Perspektive auf seine Lieblinge wie sonst, genauso ergeht es den sehr wichtigen Menschen und den Anhängern der Gäste. „Alles soll so sein, wie es die Leute von den Heimspielen gewohnt sind“, heißt es. Doch hinter dem vermeintlich einfachen Konzept steckt ein enormer Kraftakt, vielleicht sogar die Zukunft von Fußballstadien.

Während die von Perfektionismus geprägten Vorkehrungen für den Eurovision Song Contest nur noch, wie es die Organisatoren ausdrücken, vergleichbar sind mit denen einer Eröffnungsfeier Olympischer Spiele, steht das Objekt nebenan sozusagen für das genaue Gegenteil – für regelrechtes Stückwerk.

Die Module für Düsseldorf kommen aus aller Welt, in Südafrika wurden sie vorher schon verbaut und auch in Kanada, nach ihrem Einsatz in Deutschland sind sie für Bauten in der Schweiz verplant. Möglich macht es eine Firma, die sich auf den Bau temporärer Anlagen spezialisiert hat und ihre Konstruktionen je nach Wunsch des Auftraggebers zusammenzimmert. Auch bei der Weltmeisterschaft 2022 in Katar sollen die Teile zum Einsatz kommen.

Spartanische Duschen

Etwa vier Fußballfelder groß ist das Gelände, auf dem sich die Firma in Düsseldorf austoben durfte. Grundlage bildet dabei eine 35 Zentimeter dicke Schotterschicht, darüber reiht sich eine Stahlrohrkonstruktion an die nächste. Die Flutlichtmasten sind Baukräne mit ein paar Lichtern dran; Improvisation ist alles im Modul- und Modellbau.

Am deutlichsten wird das, wenn man die Kabinen betritt. Hier sieht es nicht viel anders aus als in einer Grundschulsporthalle. Ein paar helle Holzbänke gibt es, ein paar Haken – sonst nichts. Aberwitziger dürften aus Sicht eines Profifußballers nur noch die sanitären Einrichtungen daherkommen. Fünf Kunststoff-Duschbehälter, jeder einzelne in einer Größe, die es für einen ausgewachsenen Menschen unmöglich erscheinen lässt, sich beim Duschen zu drehen und zu wenden, stehen auf vielleicht zehn Quadratmetern jeder Mannschaft zur Verfügung. „Alles sehr spartanisch“, sagt Herr Müller, aber mehr könne man eben einfach nicht erwarten von einem solchen kurzfristigen Bau.

„Eine Momentaufnahme“ nennt der Mann vom Amt sein Projekt, als er durch die Kabinengänge schlendert, die in Wirklichkeit nur eine Aneinanderreihung von Containerbauten und Rigipsplatten sind. 2,8 Millionen Euro hat der Düsseldorfer Moment gekostet, gut 20 000 Zuschauer pro Spiel werden ihn erleben dürfen. Und warum nun der ganze Aufwand? Warum weicht die Fortuna aus Düsseldorf nicht einfach in ein bereits existierendes Stadion aus? Von denen soll es ja einige in der Nähe geben.

Ein Heimspiel soll ein Heimspiel bleiben, lautet die einfache Begründung. Deshalb und weil der Klub die Finanzierung nicht selbst stemmen musste – das oblag der Stadt –, ist die anfängliche Skepsis bei Fortuna und der Anhängerschaft auch ziemlich schnell Einverständnis, ja gar Begeisterung gewichen. Auch wenn die Mannschaft ihre Trainingseinheiten jetzt ein paar Meter weiter entfernt auf der Kleinen Kampfbahn absolvieren muss, freue sich der Klub auf das erste Heimspiel im Ausweichquartier am Freitag. Nur, dass der deutschen U-17-Nationalmannschaft vor ein paar Wochen gegen die Ukraine das Spieldebüt im Stahlbau überlassen wurde, stimmte den Verein ein bisschen traurig.

Kleine Teile,

© dpa

Groundhopper aus aller Welt

Selbstverständlich spiele Prestige mit bei so einem Projekt, das will auch Rainer Müller gar nicht leugnen. Zwar mag man sich an die ebenfalls temporäre Arena vor dem Reichstag zur WM 2006 erinnern, doch die diente weitestgehend der Bespaßung des Publikums. Jetzt werden erstmals Punktspiele in einem Übergangswerk ausgetragen, und das weckt Begehrlichkeiten, mit denen der Klub vorher so nicht kalkuliert hatte.

Groundhopper aus aller Welt haben bei der Fortuna um Tickets für die drei anstehenden Zweitligaspiele gegen den 1. FC Union, Arminia Bielefeld und Alemannia Aachen gebettelt. Da die Groundhopper insgesamt nur noch drei Chancen haben, Punkte für einen Stadionbesuch zu sammeln, sei der Andrang immens, heißt es in der Geschäftsstelle des Düsseldorfer Zweitligisten. Der Trubel allerdings stört nach eigenen Angaben kaum, denn man weiß, dass er zeitlich begrenzt ist.

In gut einem Monat wird der Ausnahmezustand rund um das Gelände in Düsseldorf-Stockum schon wieder vorbei sein. Fortuna spielt, Lena singt und die Besitzverhältnisse werden die alten sein. Innerhalb von 15 Tagen soll das mobile Fußballstadion abgebaut werden. Übrig bleiben wird ein großer Fleck in der Landschaft.

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