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Hertha

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Hertha: Das Experiment verspricht Erfolg

Hertha BSC spielt mit jedem neuen Spieler besser, auch wenn das Ergebnis nicht immer stimmt.

Lucien Favre sagt, er brauche nicht viel Zeit, um einen Fußballspieler kennenzulernen. Ballbehandlung, Laufbewegungen, Spielintelligenz – ob einer zu seiner Philosophie passt oder nicht, das sieht der Trainer von Hertha BSC schon nach ein paar Minuten. Tobias Grahn muss ihn beeindruckt haben. So sehr, dass er einer Verpflichtung des Schweden zustimmte, obwohl sie auf den ersten Blick kaum seiner Philosophie entspricht. Tobias Grahn ist schon 27 Jahre alt und damit nicht mehr im Stadium eines Talentes, das Favre noch nach seinen Vorstellungen formen kann. Dennoch stand Grahn am Samstag im Spiel bei Arminia Bielefeld nach gerade vier Trainingstagen gleich in der Berliner Startformation. Und hinterließ dabei einen besseren Eindruck, als es seine Auswechslung nach 45 Minuten erahnen lässt. Wie ja auch Hertha sehr viel besser spielte, als es die 0:2-Niederlage suggeriert.

Der Schweizer Fußballlehrer Favre wagt in Berlin ein bemerkenswertes Experiment. Er bastelt sich unter den Wettkampfbedingungen eine Mannschaft zusammen, die in der Bundesliga Erfolg haben und beim Berliner Publikum wieder die Lust auf Fußball wecken soll. Alle paar Tage kommt ein neuer Spieler dazu, heute wird der Brasilianer Andre Lima erwartet. Und weil die Transferperiode erst am Freitag endet und Hertha immer noch flüssig ist, dürfte der Kader längst noch nicht komplett sein. Am kommenden Samstag im Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg werden Lucien Favre all die Spieler zur Verfügung stehen, mit denen Hertha die Hinrunde bestreiten will.

Es ist nicht zu übersehen, dass Hertha mit jeder Woche, mit jedem Spiel und jedem neuen Spieler ein Stückchen besser wird. Der Auftakt in Frankfurt war wenig ermutigend, beim 3:1 über den VfB Stuttgart die zweite Halbzeit sehr schön anzuschauen, und in Bielefeld hatte Hertha das Spiel über die kompletten 90 Minuten im Griff. Allein die beiden dummen Gegentore und die Vielzahl der ausgelassenen Torchancen verärgerten. Als Projektmanager aber dürfte Favre die in Bielefeld erkennbare Perspektive zuversichtlich gestimmt haben. Gleich drei im Spätsommer zusammengekaufte Zugänge aus drei Nationen standen in der Startaufstellung. Der Brasilianer Lucio, der Schweizer von Bergen und der Schwede Grahn. Alle hoben sie Herthas Spiel auf ein neues Niveau.

Lucio behandelte den Ball mit der Sohle so feinfühlig, wie man es von einem Brasilianer erwartet. Er lief viel, vor allem auf der rechten Seite, hatte großartige Szenen, aber auch Aussetzer, die einen Perfektionisten wie Lucien Favre in den Wahnsinn treiben (aber entspricht nicht auch das dem Klischee vom schlampig-genialen Brasilianer?). Von Bergen spielte den Part des Innenverteidigers mit einer Intelligenz, die seinen Nebenmann Josip Simunic längst zum Stammspieler beim FC Barcelona gemacht hätte. Schnelligkeit, Zweikampfverhalten, Spieleröffnung – bei von Bergen stimmte am Samstag alles.

Und Grahn? Gab ein bemerkenswertes Debüt. Ins Auge fielen seine feine Technik, das Geschick im Duell Mann gegen Mann, sein Blick für ungewöhnliche Lösungen. Einmal trat er an der Strafraumgrenze an, zog seinen Gegenspieler mit und trat dann aus vollem Lauf auf den Ball, so dass dieser in bester Position liegen blieb für Sofian Chahed, doch der wusste mit der schönen Inszenierung wenig anzufangen. „Tobias hat sehr gut gespielt“, sage Favre, „aber er war ein bisschen müde.“ Kein Wunder: Sein letztes Spiel unter Wettkampfbedingungen lag zehn Wochen zurück. Es war Grahns Abschiedsvorstellung bei Gimnastic de Tarragona, der Schwede schoss dabei sogar ein Tor gegen den FC Barcelona, dem wiederum gleich fünf gelangen. Barca siegte 5:1, und Grahn stieg mit Tarragona in die Zweite Liga ab. Gerade neun Mal lief er in der Primera Divison auf, erzielte dabei aber immerhin zwei Tore.

Der Kurzaufenthalt in Spanien spiegelt Grahns Karriere recht anschaulich wider. Seine hohe Veranlagung und was er daraus bisher gemacht hat, nämlich denkbar wenig. „Ich bin kein Stürmer, der vorne auf seine Chance lauert“, sagt er. „Ich hole mir gern den Ball und versuche, das Spiel mitzugestalten.“ Tobias Grahn hatte in den 45 Minuten seines samstäglichen Mitwirkens die meisten Berliner Ballkontakte. Das sagt viel über seine Spielfreude, aber auch über sein Selbstverständnis. Tobias Grahn ist ein Spieler, der den Ball gern hat und ihn ungern wieder hergibt. Wie verträgt sich das mit Lucien Favres Vorstellung vom schnellen Kurzpassspiel? Jede Mannschaft lebt vom Beitrag ihrer Individualisten. Wer sie klein hält, wird ebenso scheitern wie der, der ihnen alle Freiheiten lässt. Am Beispiel des Tobias Grahn könnte sich zeigen, wie Lucien Favres Berliner Experiment ausgeht.

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