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Sport: Das neue Zeitalter muss warten

Deutschland spielt mutig und verliert das Finale der Tischtennis-WM dann doch 0:3 gegen China.

Eine chinesische Mannschaft, die sich in den Armen liegt, erlöst ins Publikum winkt, überglücklich eine Ehrenrunde dreht. Und eine deutsche Mannschaft, die sich über verpasste Gelegenheiten ärgert und deren Trainer Jörg Roßkopf sagt: „Wir waren dicht dran, die Chinesen zu schlagen. In jedem Spiel hatten wir unsere Chancen.“ Das alles spricht dafür, dass dieses Finale um den Mannschafts-Weltmeistertitel im Tischtennis mit dem blanken Ergebnis von 3:0 für China nicht ganz auserzählt ist. Dass 11 000 Zuschauer in Dortmund mehr gesehen hatten als eine spielend leichte Titelverteidigung des Rekordsiegers China.

Es hätte keinen besseren Ort geben können, um China herauszufordern. In der Dortmunder Westfalenhalle eröffnete Rong Guotuan bei der WM 1959 ein neues Zeitalter im Tischtennis. Er gewann den ersten Weltmeistertitel für China überhaupt im Sport. Dreißig Jahre später begann bei der WM in Dortmund das Interregnum der Schweden mit ihrer goldenen Generation Jan-Ove Waldner, Jörgen Persson, Mikael Appelgren und Erik Lindh.

Es hätte vielleicht auch keinen günstigeren Moment geben können. Dirk Schimmelpfennig, der Sportdirektor des Deutschen Tischtennis-Bundes, sprach angesichts des mühelosen deutschen Durchmarschs in dieses WM-Endspiel von „chinesischen Dimensionen. Jetzt müssen wir nur sehen, wie der Vergleich mit dem Original ausfällt.“ Auf diesen Vergleich hatten sich alle eingestellt, auch die deutschen Spieler, denn unmittelbar vor dem ersten Ballwechsel liefen über die Videowand kleine Kampfansagen. „Mit den Chinesen haben wir noch eine Rechnung offen, die wollen wir jetzt begleichen“, war von Timo Boll zu hören und von Dimitrij Ovtcharov: „Wann, wenn nicht jetzt.“

Das Auftaktspiel war gleich die Revanche des WM-Halbfinals 2011. Boll hatte in Rotterdam gegen Zhang Jike verloren, das Spiel bedeutete Zhang Jikes endgültigen Durchbruch, er gewann auch das Finale und gilt als derzeit Bester unter den Besten. Nach dem Finale zerriss er sich sein Hemd. „Vielleicht bin ich etwas individueller und habe eine andere Mentalität als viele meiner Landsleute“, sagt Zhang Jike über sich. Sein Trainer hat ihn wegen seiner Siegesverbissenheit einen „tibetischen Kampfhund“ genannt.

Aus dem verlorenen WM-Halbfinale wollte Timo Boll die richtigen Schlüsse ziehen. Und der wichtigste lautete: mehr Risiko. Vielleicht hat Boll noch nie so mutig gespielt wie am Sonntag. Die Bälle ließ er gar nicht erst richtig hochspringen, er schlug sie früh zurück, um Zhang Jike so viel Druck und so wenig Reaktionszeit wie möglich zu geben. In manchen Bällen klappte das, Zhang Jike machte einige leichtere Fehler, aber auch Bolls Fehlerquote lag über seinem gewöhnlichen Maß. Hauchdünn gab Boll den ersten Satz ab, 10:12. Der Plan war vorerst gescheitert, die Chinesen sofort zu verunsichern. Im zweiten Satz konnte Boll nicht zulegen und unterlag 6:11. Doch er fand auf einmal die richtige Mischung aus Sicherheit und Risiko und gewann 11:5. Das Spiel war wieder offen, Zhang Jike schien vom Nachdenken ins Grübeln zu wechseln.

Auch wenn der Ball lange hin- und herflog, punktete Boll, teils mit grandiosen Topspins. Nach dem 12:10 für ihn musste der letzte Satz die Entscheidung bringen. Den Start verpasste Boll jedoch, lag im Nu 0:6 hinten und schaffte einfach nicht mehr den Anschluss – 5:11. „Man muss sich erstmal an die Schlaghärte der Chinesen gewöhnen. Der Schlüssel war der 0:2-Satzrückstand. Gegen einen solchen Spieler ist es sehr schwer, drei Sätze in Serie zu gewinnen“, sagte Boll.

Den Ausgleich sollte Dimitrij Ovtcharov bringen, in der deutschen Mannschaft hat er das beste Turnier gespielt. Sein Gegner Ma Long ist zwar Weltranglistenerster, hat aber bei großen Turnieren schon oft Nerven gezeigt. Nach klar verlorenem ersten Satz lag Ovtcharov im zweiten 9:4 vorne. „Wenn du eine Chance hast gegen China, musst du sie nutzen“, sagte Ovtcharov. Doch diese Chancen vergab er, verlor den Satz und ließ im nächsten noch einen Satzball aus. „Ich war wohl zu gierig“, sagte er. Das 0:2 des deutschen Teams ließ die Stimmung in der Westfalenhalle erst einmal sinken, nur bei den mehreren hundert chinesischen Zuschauern nicht. Mit dem überraschenden Gewinn des ersten Satzes gegen den früheren Einzel-Weltmeister Wang Hao holte Patrick Baum anschließend die Halle noch einmal kurz aus der Ernüchterung. Doch auch er nutzte kleine Führungen nicht zum Sieg.

Die deutschen Teams hatten zwei Sensationen bei dieser WM verpasst, das Damenteam hatte am Freitag eine 2:0-Führung gegen Titelverteidiger Singapur nicht nutzen können und landete am Ende auf Platz sieben. „Wir müssen weiter dran arbeiten, dass wir unsere Chancen gegen China nutzen“, sagte Timo Boll. Bis zur nächsten ganz großen Gelegenheit müssen die Deutschen gar nicht einmal lange warten. Sie könnte im Sommer in London kommen, bei den Olympischen Spielen.

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