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Vom Zucken zum Kinde. Karolin und Alf Leihe erwarten im Sommer Nachwuchs.

© Ronja Ringelstein

Nach einem Unfall zurück zum Leben: Das normale Glück

Dass einer mit Querschnittlähmung Vater wird, ist ein kleines Wunder. Familie Leihe findet das Glück im Normalen.

Von Ronja Ringelstein

Angefangen hat es mit dem Zucken in der Schulter. Wenige Wochen vor Weihnachten im Jahr 2010 liegt Alf Leihe fast bewegungslos im Krankenhausbett. Querschnittgelähmt ab dem Halswirbel C5, Tetraplegie, das heißt, alle vier Extremitäten betroffen, gequetschtes Rückenmark. Die Ärzte wissen nicht, wie viel von seiner alten Beweglichkeit Alf Leihe, zu dieser Zeit 29 Jahre alt, jemals zurückgewinnen würde. Wenn überhaupt. Aber dann spürte er es, das Zucken. Da war noch etwas.

Durch den Unfall sind sie stärker zusammengewachsen

Wie so oft in seinem Leben gab es einen Ansporn: Karolin. Damals, kurz nach dem Autounfall auf der A 9, war sie noch seine Freundin. Studentin, 23 Jahre alt. Und er wünschte sich nichts mehr, als sie wieder in den Arm zu nehmen. Für einen, der kaum den Hals bewegen kann, eine Herkules-Aufgabe. „Ich habe jeden Tag mit diesem Ziel trainiert“, sagt Alf Leihe heute. Während er das erzählt, sitzt er in einem leichten Rollstuhl in der hellen Wohnung in Markkleeberg, wenige S-Bahn-Minuten von Leipzig entfernt. Wenn er spricht, bewegt er häufig die Arme. Die Wohnung ist komplett barrierefrei, die Türen breit, Alf Leihe hat ein Arbeitszimmer mit Trainingsgeräten, einen Computer an dem er arbeitet. Er hat es geschafft. „An Weihnachten hast du mich in den Arm genommen“, sagt Karolin Leihe und schaut zu ihrem Mann. Er hat ihren Namen angenommen, nach der Hochzeit vor zwei Jahren.

Aufprall auf den Sattelschlepper, Koma, dann die "Befreiung"

Durch den Unfall seien sie stärker zusammengewachsen, sagt Karolin Leihe. Der Anfang war hart, aber sie hatten viel Glück. Es war ein Arbeitswegeunfall. Alf Leihe, gelernter Kfz-Mechaniker war auf dem Rückweg von einem Job. Sein Kollege fuhr den Wagen, er schlief und erinnert sich an nichts. Nicht an den Aufprall auf den Sattelschlepper. Auch ein Glück. Er erinnert sich erst an das Aufwachen im Krankenhaus nach zwei Wochen im Koma. Dann die „Befreiung“, wie Alf Leihe es nennt: Weil es ein Arbeitswegeunfall war, greift der Versicherungsschutz über die Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM). Mit einem Helikopter wird er deshalb kurze Zeit nach der ersten Not-OP ins Klinikum Halle Bergmannstrost geflogen, eine von neun berufsgenossenschaftlichen Akutkliniken der gesetzlichen Unfallversicherung. Näher an zu Hause, an Karolin. Es ist eine Spezialklinik für Rückenmarksverletzungen, die ihn wieder fit machen soll. Es geht los mit der Bewegungstherapie. In langsamen Schritten, erstmal das Sitzen üben. Später Gegenstände von A nach B räumen, etwas schreiben. Rollstuhltraining, schwimmen. Auch seine neue Leidenschaft, das Handbikefahren lernt er in der Klinik kennen. Elf Monate verbringt Alf Leihe dort.

Kurz vor seinem 30. Geburtstag wird er entlassen. Heute, sieben Jahre nach dem Unfall kann er vieles, was er, seine Frau und die Ärzte kaum für möglich gehalten hätten. „2016 bin ich 600 Kilometer mit dem Handbike gefahren.“ Raus in Sachsens Natur. Da kann er abschalten. Auch vom Job, denn auch wenn er nicht mehr als Kfz-Mechaniker an Autos schrauben kann, war für ihn immer klar, dass er nicht zu Hause sitzen und nichts tun kann. Als Patientenbetreuer arbeitet er heute in der Reha-Klinik, in der er nach wie vor mehrmals die Woche trainiert.

Ein Kind kommt im Sommer - ein kleines Wunder für die Leihes

Dass einer mit Querschnittlähmung Auto fahren kann, finden die Leihes selbst, klingt futuristisch und „ist auch so“, sagt Alf Leihe und grinst. Die BGHM hat ihm eine Fahrschule in Dortmund vermittelt, dort lernte er, ausschließlich mit den Armen zu steuern, zu bremsen, zu schalten. Geblinkt und gehupt wird mit leichtem Druck auf die Kopfstütze, denn seine Finger sind nach wie vor unbeweglich. Auf ihrem Garagenplatz steht ein schwarzer VW-Bus. Der Umbau war so teuer wie der Wagen selbst – die BGHM übernahm die Kosten. Und ermöglichte den Leihes so, mobil zu sein. Wieder ein Glück.

Das größte Glück der beiden aber liegt in ihrer Zukunft. Ein Kind kommt im Sommer. Bei einem Vater mit Tetraplegie ist das mit einigem medizinischem Aufwand verbunden. Samenzellen mussten entnommen werden, Hormontherapien gemacht, dann die künstliche Befruchtung. Der dritte Anlauf war endlich erfolgreich. „Es wird ein kleines BG-Kind“, sagt Alf Leihe und lächelt seine Frau an. Die Betreuerin der BGHM habe richtig mitgefiebert, dass es mit dem Baby klappt – auch hier wurden die Leihes finanziell unterstützt. Eine Familie gründen. Beide berufstätig. Letztes Jahr drei Wochen Urlaub in Neuseeland, Partys mit Freunden, Fahrradtouren. Klingt alles ganz normal, finden die Leihes. Und eben das ist das Glück.

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