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Sport: Das Vorbild läuft hinterher

Gebrselassie hat im 10 000-m-Finale keine Chance und wird trotzdem gefeiert

Haile Gebrselassies Freunde sind überall. Vor dem Start des olympischen 10 000-m-Finales am späten Freitagabend riefen sie ihm von der Pressetribüne zu. Der kleine Äthiopier, vielleicht der größte Läufer aller Zeiten, winkte mit seinem typischen Lachen zurück. Eine halbe Stunde später feierte ihn das gesamte Stadion wie einen Olympiasieger. Doch Haile Gebrselassie hatte gar nicht gewonnen. Als Fünfter lief er in 27:27,70 Minuten abgeschlagen ins Ziel. Kenenisa Bekele wurde zum Nachfolger seines großen Idols Gebrselassie. Mit einem atemberaubenden Sprint auf der letzten Runde – Bekele legte diese 400 Meter knapp unter 54 Sekunden zurück – lief der erst 22-Jährige zum bisher größten Erfolg seiner Karriere. Nach 27:05,10 Minuten war Bekele im Ziel. Platz zwei ging an Sileshi Sihine (Äthiopien, Zeit: 27:09,39), Dritter wurde Zersenay Tadesse (Eritrea, 27:22,57).

Der Versuch, als erster Läufer überhaupt zum dritten Mal olympisches Gold über 10 000 m zu gewinnen, endete für Gebrselassie im doppelten Sinne schmerzlich. Vor vier Jahren in Sydney hatte er es dem Finnen Paavo Nurmi (1920 und 1928), dem Tschechen Emil Zatopek (1948 und 1952) sowie dem Finnen Lasse Viren (1972 und 1976) nachgemacht. Gebrselassie hatte nach Atlanta 1996 zum zweiten Mal die 10 000 m gewonnen. Doch nun in Athen verpasste der 31-Jährige eine Medaille deutlich und humpelte schließlich sogar mit Achillessehnenproblemen aus dem Olympiastadion.

Gebrselassie hätte einen erfolgreicheren Abschied verdient. Der Äthiopier, der 18 Weltrekorde aufstellte, geht nun auf die Straße. „Mein nächstes Ziel ist der Marathon“, bestätigte er, als er kurz vor Mitternacht durch die Katakomben des Olympiastadions humpelte. Ob das angesichts seiner Verletzung so läuft wie geplant, erscheint nun fraglich. Beim Amsterdam-Marathon Mitte Oktober will Gebrselassie seinen zweiten ernsthaften Marathon nach London 2002 laufen.

Eigentlich wollte Gebrselassie aufgrund der Achillessehnenproblemen im linken Fuß auf den Start in Athen verzichten. Es heißt, der äthiopische Verband habe ihn zu einem Start überredet. Die Äthiopier wollten alle drei Medaillen gewinnen. Das klappte nicht – nun haben sie ein verletztes Idol. Doch es ist nicht Gebrselassies Art, anderen Fehler vorzuwerfen: „Ich bin froh, dass ich hier dabei war, und bin zufrieden mit dem Resultat. Ich hatte nichts mehr zuzusetzen.“

„Der Olympiasieg ist natürlich etwas ganz Besonderes“, erklärte Kenenisa Bekele, der im vorigen Jahr bereits Weltmeister wurde und dann im März zum dritten Mal in Folge beide Strecken bei der Cross-WM gewann, was keiner vor ihm schaffte. Zusätzlich brach er in dieser Saison die Weltrekorde über 5000 (12:37,35 Minuten) und 10 000 Meter (26:20,31), die abgesehen von kurzen Unterbrechungen rund ein Jahrzehnt lang im Besitz von Gebrselassie waren.

Doch wer weiß, ob Bekele jemals eine Medaille gewonnen hätte, wenn es Gebrselassie nicht gegeben hätte. „Er ist das große Vorbild für uns alle“, sagt der neue Olympiasieger. Gebrselassie war über zehn Jahre lang der Motor für das Training von Bekele und der anderen jungen äthiopischen Läufer. Sportlich ist Bekele an seinem Idol vorbeigezogen. Doch was die Persönlichkeit angeht, kann Bekele noch nicht mit dem charismatischen Gebrselassie mithalten. Angeblich spricht Bekele inzwischen Englisch, doch ohne Übersetzer läuft bei Interviews nichts. Gebrselassie ist eine internationale Werbefigur für den Laufsport, Bekele noch lange nicht.

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