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Sport: Defizite bei der Disziplin

Oliver Kahn wird beim FC Bayern aus nebulösen Gründen suspendiert – und zeigt Verständnis

Es war kurz nach zwei, als Oliver Kahn aus dem Gebäude an der Säbener Straße trat. Die Fernsehkameras standen bereit, innerhalb von Minuten hatten sich zahlreiche Reporter am Trainingsgelände des FC Bayern München eingefunden. Sie warteten alle nur auf ihn, den Torwart und Kapitän des FC Bayern – der wenige Stunden zuvor von Trainer Ottmar Hitzfeld für das Bundesligaspiel bei Hertha BSC am Samstag suspendiert worden war. Und dann also sprach er.

Es war überraschend, dass Kahn so bereitwillig vor die Reporter trat, schließlich kam auch seine erste Suspendierung überhaupt, die verbunden ist mit einer Geldstrafe in Höhe von 25 000 Euro, überraschend. „Die Gründe hierfür wurden intern geklärt“, so stand es in der viereinhalb Zeilen langen Mitteilung, die der FC Bayern am frühen Dienstagnachmittag verschickte.

Franz Beckenbauer nährte die Gerüchte, wonach es zur Suspendierung gekommen sei, weil Kahn die Weihnachtsfeier des Klubs am vergangenen Samstag frühzeitig verlassen habe. „Das ist ein Punkt, an dem die Mannschaft zusammenfindet. Da kann er als Kapitän nicht aufstehen und die Feier frühzeitig verlassen“, sagte der Bayern-Präsident, der Kahns Vorgehen als „Disziplinlosigkeit“ bezeichnete. Kahn widersprach dieser Version und lenkte die Aufmerksamkeit in Richtung des am Montag veröffentlichten Interviews mit dem Fachmagazin „kicker“, in dem er besonders Franck Ribéry und Luca Toni kritisiert hatte. „Der ein oder andere“, wurde Kahn zitiert, müsse „sich noch zurechtfinden, dass hier zwei, drei gute Spiele nicht reichen. Bayern ist nicht Marseille oder Florenz.“ Ribéry war aus Marseille und Toni aus Florenz nach München gewechselt. Ob darüber hinaus Weiteres vorgefallen ist, ist unklar.

Am Dienstagnachmittag nun, um kurz nach zwei, da zeigte Kahn Verständnis für Hitzfelds Maßnahme, er sprach ruhig, gefasst. „Ich bin nicht ganz so überrascht“, begann er, und fuhr fort, er könne das „irgendwo verstehen“, Disziplin sei nun mal das oberste Gebot, „und es geht jetzt nur darum, dass der Verein Ruhe haben möchte.“ In Zukunft werde er versuchen, sich „mit öffentlichen Äußerungen zurückzuhalten“. Und: „Ich bin der Letzte, der nicht erkennt, dass ich übers Ziel hinausgeschossen habe. Ich habe das gar nicht so gemeint, ich wollte nur dem einen oder anderen Anregungen geben.“ Die Suspendierung sei kein Problem, „ich bereite mich jetzt auf unser Uefa-Cup-Spiel gegen Saloniki vor“. Dann verabschiedete er sich – und verschwand wieder im Gebäude. Eine knappe Stunde später, als das Nachmittagstraining begann, war Kahn der Letzte, der den Platz betrat, er lief auf den regennassen Rasen zu den Torwarttrainern Bernd Dreher und Walter Junghans, wo Kahns Stellvertreter Michael Rensing bereits wartete.

Ottmar Hitzfeld selbst wollte zu den Vorfällen nichts sagen, er parkte seinen Wagen, rief den Reportern ein knappes „heute nicht“ zu – und verschwand. Weil ansonsten nur noch Philipp Lahm sagte, er wolle nichts dazu sagen („Das ist in der Kabine zustande gekommen“) und alle anderen inklusive Manager Uli Hoeneß schwiegen, verstärkte sich der Eindruck, dass die Maßnahme vom Trainer mit dem Vorstand genau besprochen war – ebenso Kahns demütiges Auftreten vor den Kameras.

Hitzfeld verfolgt mit dem öffentlich gesetzten Reizpunkt eine alte Bayern-Psychologie: Die Spieler reagieren seit je kaum auf interne Kritik, dafür aber umso mehr auf öffentlichen Ärger. Ob das auch in diesem Fall so sein wird, wird sich erst am Samstag zeigen, wenn die Bayern in Berlin antreten – und Kahn zusieht.

Michael Neudecker[München]

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