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Da ist das Ding. Neben Pokalen kann man bei "buntkicktgut" vor allem neue Freunde gewinnen.

© buntkicktgut

Straßenfußball und Integration: "Den Kids ist nicht alles scheißegal"

Die Initiative „buntkicktgut“ kann am Montag den DFB-Integrationspreis gewinnen. Geschäftsführer Julian Buning über die Arbeit in Berlin und Togo.

Von David Joram

Herr Buning, Sie kommen aus der Musikindustrie, arbeiten seit 2013 aber für eine soziale Fußball-Initiative. Warum das?

Julian Buning: Ich wollte etwas Nachhaltiges mit Mehrwert für die Gesellschaft gestalten, ein soziales Unternehmertun mittragen sozusagen...

...was in der Musikbranche nicht funktioniert hätte?

Es wäre zumindest schwerer gewesen. Fußball ermöglicht einen schnellen Zugang zum Menschen. Dieser Sport funktioniert auch ohne Sprache, der Einstieg ist niedrigschwelliger.

Wer nur kicken will, braucht auch nicht viel.

Klar, die Materialkosten sind minimal. Eigentlich braucht es nur einen Ball, dann kann’s losgehen.

Sie sind Geschäftsführer bei „buntkicktgut“, einer Straßenfußball-Initiative. Ihr Angebot richtet sich an alle – aber vor allem auch an geflüchtete Kinder und Jugendliche. Kann Integration nicht besser gelingen, wenn diese Zielgruppe in einem heterogenen Umfeld Sport treibt, etwa in einem Verein?

Unser Angebot ist offen für jeden. Natürlich finden sich bei uns viele Geflüchtete oder Kinder aus sozial schwächeren Familien wider, aber genauso gut Kids vom französischsprachigen Privatgymnasium. Gegenüber Vereinen haben wir den Vorteil, dass wir es schaffen, unsere Teilnehmer individuell zu begleiten. In Klubs geht es eben meist „nur“ um Fußball, was auch verständlich ist. Interkulturelle Kompetenzen fehlen dort häufig, zumindest nach meinen Erfahrungen. Trotzdem leisten auch viele Sportvereine einen guten Beitrag zur Integration, das steht doch außer Frage.

Für was wollen Sie darüber hinaus stehen?

Werte wie Respekt, Toleranz, Freundschaft sind uns sehr wichtig. Wir legen Wert darauf, auch Sozialarbeit zu leisten. Jugendliche, die aus Vereinen rausfallen, werden bei „buntkicktgut“ aufgenommen.

Eignet sich eine Straßenfußball-Liga – wie sie buntkicktgut anbietet – besonders gut für „Problemfälle“?

Wir fokussieren uns jedenfalls auf die individuellen Stärken der Kinder und Jugendlichen anstatt auf ihre Schwächen.

Die Teams werden von Trainerinnen und Trainern betreut, die neben fußballerischen Kompetenzen auch über hohe soziale Kenntnisse verfügen sollten – als Ehrenamtliche! Wo und wie findet man so ein qualifiziertes Personal?

Wir rekrutieren die Trainer aus dem Kiez, in Neukölln, Kreuzberg oder Wedding, selbst. Ein Neuköllner Team wird von einem Neuköllner angeführt, der meist aus demselben Milieu stammt und die Realitäten von Flucht und Migration kennt. Die Trainer heißen „Street Football Worker“ und sind in ihrer Gegend echte Vorbilder.

Wie wird man Street Football Worker?

Dazu können sich Jugendliche und Kinder in unseren Workshops schulen lassen, die jüngsten Street Football Worker sind 13 Jahre alt. Die trainieren dann die U11-Teams.

Und darauf haben die „Bock“? Viele wollen doch bestimmt nur bolzen, statt Verantwortung für andere übernehmen zu müssen.

Sie werden überrascht sein, welche Motivation bei den Kindern und Jugendlichen hervorgerufen wird, wenn man ihnen Verantwortung übergibt. Wenn Street Football Worker mit ihren Pullis durch die Karl-Marx-Straße in Neukölln laufen, wird ihnen Respekt entgegengebracht. Das hat was mit einem „Großen-Bruder-Effekt“ zu tun, der in anderen Kulturen häufiger anzutreffen ist.

Gibt es auch einen „Große-Schwester-Effekt“?

(lacht) Den gibt es. Gerade in Neukölln oder Kreuzberg kicken auch Mädchen. Bis zur U13 normalerweise gemeinsam mit den Jungs, in den Altersklassen danach – der U15, U17 und Ü17/Senioren – in einer eigenen Ladies-Liga. Es gibt natürlich auch Trainerinnen.

Klare Vorstellungen. Julian Buning, Geschäftsführer der Straßenfußball-Initiative "buntkicktgut".

© buntkicktgut

Wie groß ist das Interesse?

In Berlin besteht die U15-Liga der Mädchen aus 15 Teams, pro Team etwa zehn Mitglieder – wie bei den Jungs auch. Aber die Arbeit mit Mädchen erfordert einen anderen Umgang.

Inwiefern?

Nicht alle Familien verstehen, warum Mädchen Fußball spielen sollen. Man hört dann, die Tochter solle sich doch eher auf die Schule konzentrieren. Oder es wird gefragt, ob auf unseren Bolzplätzen Umkleidemöglichkeiten bestehen, ob die Haare beim Sport bedeckt seien, und so weiter. Gerade in muslimisch geprägten Familien spielt das eine Rolle. Mädchen brauchen manchmal deshalb auch geschützte Räume, wo sie unter sich sein können. Unser großer Fußballcourt in Tentaja, der Hangar 1 auf dem Tempelhofer Feld, bietet da gute Möglichkeiten – wobei uns insgesamt die kommunale Unterstützung in Berlin leider fehlt. Wir sind vor allem auf Spenden angewiesen.

Wer beantwortet denn die ganzen Fragen aus besorgten Familienkreisen, etwa Sie?

Wir gehen mit unseren Street football Workern tatsächlich auf die Väter und Mütter zu, besuchen sie zuhause und diskutieren über die Sorgen der Verwandten, teilweise vor großen Familienrunden. Das ist wahnsinnig spannend, in solche Kontexte hineinzukommen – aber auch nicht immer einfach.

Wie entsteht der Kontakt?

Häufig funktioniert das über Mund-zu-Mund-Propaganda, die Jugendlichen sind die Multiplikatoren und Macher bei buntkicktgut. So erweitern wir unser Feld stetig um Brüder, Schwestern, Freunde. Wir kooperieren natürlich auch mit lokalen Partnern, in Neukölln beispielsweise mit dem Mädchentreff „Szenewechsel“.

In Berlin gehören nach fünf Jahren etwa 800 bis 1000 Kinder und Jugendliche zur buntkicktgut-Familie. Deutschlandweit haben Sie auch Standorte in München, Dortmund, Düsseldorf, Hamburg, Niederbayern oder Ludwigshafen. Dazu welche in der Schweiz und Kooperationen mit europäischen Ländern. Und außerhalb Europas ist Togo dabei. Welche Verbindung hat buntkicktgut dorthin?

Über einen langjährigen Teilnehmer, Oussman Kofia, der aus dem Togo nach Deutschland kam, wurde die Verbindung hergestellt. Er hat bei uns ein Praktikum gemacht und anschließend die Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann absolviert. Eine echte Erfolgsgeschichte.

Erzählen Sie mehr!

Oussman kam als Zwölfjähriger nach München, wo buntkicktgut gestartet ist. Er hat dort schnell Zugang gefunden. Erst war er Teilnehmer, dann Trainer, Schiedsrichter, und zuletzt im Liga-Rat, wo alle Vorfälle in der Liga diskutiert werden, vor allem dann, wenn es Auseinandersetzungen im Liga-Betrieb gab. Wer bei buntkicktgut mitmacht, lernt spielerisch Konfliktmanagement. Man muss diskutieren können – ausschließlich auf deutsch übrigens – und seine Meinung einbringen sowie seine Rechte vertreten.

Klingt demokratisch.

Genau das ist es! Dafür schaffen wir ein Bewusstsein; wir verstehen unsere Arbeit eben vor allem auch als politisch engagierte Arbeit. Durch unsere Kontinuität und die verbindlichen Strukturen schaffen wir es, dass die Kids Verantwortung übernehmen können. Ihnen ist dann eben nicht alles „scheißegal“.

Darum geht es auch im Togo?

Nicht ganz. Wir haben mit der Hauptstadt Lomé sowie in Sokodé – das ist die zweitgrößte Stadt dort – zwei Standorte, wo die Jugendlichen den Umgang mit Müll und Hygiene lernen sollen.

Was hat das mit Straßenfußball zu tun?

Es geht um die Methode, um eine spielerische Sensibilisierung. Im letzten Jahr war das Thema „sauberster Bolzplatz“. Die Kids müssen ihren Spielort nicht nur pflegen, sondern auch Aufsätze schreiben, wie sie mit mit dem Müll auf ihrem Bolzplatz umgehen.

In Berlin wurde gerade die Winter-Saison beendet. Wann und wo geht’s weiter?

Am 7. April steigt der „buntkicktgut - night champions cup“, ein Fußball-Turnier mit Flutlicht am Schierkerplatz in Neukölln. Sie sind natürlich herzlich eingeladen.

- Julian Buning, 32, ist Geschäftsführer von „buntkicktgut – interkulturelle straßenfußball-liga gGmbH“. Die Initiative ist für den DFB-Integrationspreis nominiert worden, der am Montagabend in Berlin verliehen wird.

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