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Sport: Der angespannte General

Trainer Avery Johnson führte Dallas ins NBA-Finale – jetzt ist der Titel gefährdet

Nichts an diesem Mann ist entspannt. Nicht die Muskeln, nicht der Körper, nicht die Augen, zu keiner Sekunde. Man könnte auf die Idee kommen, dass das am militärisch kurzen Haarschnitt liegt oder am millimeterdünnen Schnurrbart auf seiner Oberlippe. Oder daran, dass sogar seine Trainingsanzüge aussehen, als seien sie gestärkt und gebügelt. Außerdem ist da noch diese Stimme, längst sein Markenzeichen, die einer zum Zerreißen gespannten Klaviersaite gleicht. Doch alle, die den Basketballtrainer Avery Johnson näher kennen, bestätigen, dass er nun einmal so sei, immer unter Strom. „Der kleine General“ nannten sie ihn schon in San Antonio, wo er mit den Spurs 1999 den NBA-Titel holte. Er ist nur knapp 1,80 Meter lang, das ist selbst für einen Aufbauspieler in der Liga der Riesen klein. Trotzdem traf er damals den entscheidenden Wurf. Inzwischen leitet er die Dallas Mavericks in seinem ersten vollen Jahr als Headcoach in der NBA und hat sie gleich bis ins Finale geführt.

Dass die Mavericks plötzlich zu den besten Verteidigungsteams der Liga gehören, sei sein Verdienst, darüber sind sich alle einig. Derweil bewegt sich Johnson dieser Tage im Medien- und Marketingtrubel, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan. Wenn er auf dem Podium sitzt und davon spricht, wie er seine Mannschaft nach der schmerzlichen 74:98-Niederlage in Spiel vier der Finalserie gegen die Miami Heat wieder aus ihrem Loch holen will, bleibt kein Raum für Zweifel. „Wir sind im Augenblick im Urlaub, wir haben eine Ferienmentalität“, sagt er am Tag nach Miamis zweitem Sieg, mit dem sie in der Best-of-seven-Serie mit 2:2 nach Siegen gleichzogen. Von dieser Kritik nahm er niemanden aus, auch seinen deutschen Star Dirk Nowitzki nicht.

Am Sonntag (3 Uhr, live bei Premiere) steht das nächste Spiel an, bis dahin, verspricht Johnson, werde er das Problem lösen. Natürlich fragt prompt jemand nach dem Wie. „Nächste Frage“, sagte Johnson nur. Wenig später wird gemeldet, dass die Mavericks aus dem Hotel ausgezogen sind, das sie seit Ankunft in Miami am Montag bewohnten. Statt im lebendigen South Beach hausen sie nun 45 Autominuten von der City entfernt, in sicherer Distanz zu den Verlockungen der Großstadt, denen einige der Mavericks, wenn man den Gerüchten glauben darf, vor Spiel vier erlegen waren. Doch wirklich zur Ruhe kam die Mannschaft, die mit einem 2:0-Vorsprung angereist war, trotzdem nicht. Mitten in den Umzug platzte die Nachricht, dass die Liga Dallas’ Flügelspieler Jerry Stackhouse wegen eines absichtlichen Fouls für die Begegnung am Sonntag sperrt.

Ausgerechnet Stackhouse, der als so wichtiger sechster Mann üblicherweise von der Bank kommt und im Durchschnitt in den Play-offs 13 Punkte pro Spiel erzielt. Außerdem bringt er eine Eigenschaft mit, die Johnson besonders schätzt, die einigen seiner Angestellten aber bisweilen abgeht: Durchsetzungsfähigkeit. Am Donnerstagabend übertrieb es Stackhouse damit, meint NBA-Vizepräsident Stu Jackson. Er sah sich das harte Foul des Flügelspielers gegen Miamis Center Shaquille O’Neal von allen Seiten an und kam zu dem Schluss, dass es sich um einen grobes Vergehen handelte. Deshalb stufte er die von den Schiedsrichtern verhängte Strafe hoch und sprach die Sperre aus.

Damit schloss die NBA bereits zum dritten Mal einen Spieler der Dallas Mavericks in den diesjährigen Play-offs aus. Aufbauspieler Jason Terry musste im Spiel sechs gegen San Antonio aussetzen, weil er San Antonios Flügelmann Michael Finley in den Unterleib geboxt hatte. Mavericks-Center D. J. Mbenga schmorte fünf Partien lang im Straßenanzug, weil er Johnsons Frau Cassandra bei einem Streit mit einem Fan auf der Tribüne zur Seite gesprungen war. Während das NBA-Regelwerk in den beiden Fällen eindeutig ist, war der Fall Stackhouse Ermessensfrage. „Das ist doch alles völliger Blödsinn“, ereiferte sich Coach Johnson, „einige Stars bekommen eine Vorzugsbehandlung.“

Stackhouse gehört zweifellos nicht zu den Begünstigten. Nachdem O’Neal ihm in Partie eins mit einem Ellbogencheck fast die Nase gebrochen hätte und er mit drei Stichen genäht werden musste, bekam der Sünder nicht einmal ein absichtliches Foul. „Das macht alles keinen Sinn“, wetterte auch Mavericks-Besitzer Mark Cuban, „sie schwingen häufiger unabsichtlich Ellbogen an die Köpfe meiner Spieler, als sich das statistisch noch erfassen lässt. Doch darauf reagiert die Liga nicht.“ Während Dallas Stackhouse am Sonntag zweifellos vermissen wird, muss sich Johnson wenigstens um die Motivation seiner Angestellten keine Sorgen machen. „Unsere Fans sollen wütend sein, unsere Spieler sind es ganz sicher.“

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