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Sport: Der besondere Moment

In Leipzig gibt der große Fußball nur Gastspiele – der Alltag im neuen WM-Stadion ist trist

Das Astoria hat geschlossen. Die Fenster sind verhangen, an machen Stellen bröckelt die Fassade vom einst ersten Hotel am Platze, direkt am Hauptbahnhof. Als in Leipzig noch guter Fußball geboten wurde, begann am Astoria der lange Fußmarsch hin zum Zentralstadion, der größten Betonschüssel Deutschlands mit Platz für 110 000 Menschen. „Das war einmalig“, sagt Henning Frenzel, mehrfacher Nationalspieler und Fußballidol des 1. FC Lokomotive Leipzig. Bei den großen Spielen „war die gesamte Stadt einbezogen“, schwärmt der 62-Jährige.

Zwischen 1957 und 1989 bestritt die DDR-Auswahl im Zentralstadion 46 Länderspiele. Geplant war noch eins für den 21. November 1990: DDR gegen Bundesrepublik. Was als EM-Qualifikation ausgelost war, sollte nach dem Umbruch als große Gala ausgetragen werden. Doch acht Tage vor dem Spiel wurde das Spiel auf Empfehlung des sächsischen Innenministeriums wegen schwerer Sicherheitsbedenken abgesagt. Am 3. November 1990 war bei Ausschreitungen am Rande des Oberligaspiels zwischen Sachsen Leipzig und dem FC Berlin der Berliner Fan Mike Polley von einem Polizisten erschossen worden. An diesem Tag begann der Niedergang des Zentralstadions.

Am Mittwoch hat vielleicht eine bessere Zukunft begonnen. „Leipzig ist im Moment so richtig im Fußball“, sagt Marlies Dillschneider, Karstadt-Chefin in Leipzig. Am Montag wurde in ihrem Haus ein WM-Shop eröffnet. Zwei Tage zuvor hatte Thomas Gottschalk während seiner „Wetten, dass...?“-Sendung in Leipzig das neue WM-Maskottchen, den Zottellöwen Goleo VI, präsentiert. Und gestern Abend wurde die 44 000 Besucher fassende neue WM-Arena mit dem Länderspiel zwischen Deutschland gegen Kamerun offiziell eingeweiht. So viel Fußball war lange nicht in Leipzig.

180 000 Menschen hatten 1955 begonnen, das größte Stadion Deutschlands zu errichten. 40 000 Kubikmeter Erde wurden ausgebaggert, 1,5 Millionen Kubikmeter Trümmerschutt aus der Innenstadt wurden zu eine 23 Meter hohen Stadionwall verarbeitet. Die Zahlen des neuen Zentralstadions lesen sich anders. Die Bundesregierung spendierte für den Fußballstandort Leipzig rund 50 Millionen Euro. Die Stadt gab noch einmal 18 Millionen dazu und der Bauherr und Betreiber Michael Kölmel 35. Die Gesamtkosten belaufen sich heute auf 116 Millionen Euro, weit mehr als veranschlagt. Zudem müssen für den Konföderationen-Pokal und die WM 2006 noch weitreichende Auflagen des Weltverbandes Fifa erfüllt werden. Der Kosten sollen bei rund 26 Millionen Euro liegen.

Stadionbesitzer Kölmel weiß noch nicht, ob er das einzige ostdeutsche WM-Stadion nicht verkaufen soll. „Es wird verhandelt“, sagt Kölmel. „Ich trete aber erst dann zurück, wenn für alle eine sinnvolle Lösung gefunden wird, die der Stadt nicht zum Nachteil gereicht.“

Doch das eigentliche Problem ist nicht die neue Arena, die in das alte Rund des Zentralstadions implantiert wurde. Der Fußball in dieser Stadt hat eine ruhmreiche Vergangenheit und eine triste Perspektive. 1900 wurde hier der Deutsche Fußball-Bund gegründet, drei Jahre später wurde der VfB Leipzig erster Deutscher Meister. Heute spielt der beste Fußballklub der Stadt, der FC Sachsen, in der vierten Liga, der VfB Leipzig ging in die Insolvenz und wurde Mitte des Jahres aus dem Vereinsregister gestrichen. Jetzt startet der Klub unter dem alten DDR-Namen 1. FC Lokomotive Leipzig einen Neuanfang in der dritten Kreisklasse. Das ist die elfte Liga, danach kommt nichts mehr. „Wir haben wieder ein schönes, modernes WM-Stadion, aber keine Fußballmannschaft“, sagt Heinz Rossberg. Er ist 75, früher war er die Stimme des Zentralstadions. Bei 39 Länderspielen war er Stadionsprecher, hat Spieler wie Charlton, Platini oder Maradona angekündigt. Im Oktober 1957 hörte die deutsche Rekordkulisse von 110 000 Zuschauern im Spiel gegen die damalige Tschechoslowakei seine Stimme.

Für das Länderspiel gestern gegen Kamerun wollte sich Rossberg eine Karte besorgen. Doch das Spiel war bereits ausverkauft. Rossberg schrieb an den DFB. Er bekam eine Standardabsage.

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