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Marcelo Bielsa: "Der beste Trainer der Welt"

Der Argentinier Marcelo Bielsa ist ein ungewöhnlicher Trainer – mit seinem Verein Athletic Bilbao empfängt er in der Europa League den FC Schalke 04 zum Viertelfinal-Rückspiel. Barca-Trainer Pep Guardiola bezeichnete ihn kürzlich gar als "besten Trainer der Welt"

Tok. Tok. Tok. Und wieder: Tok. Tok. Tok. María Teresa Gerrikabeitia wunderte sich. Es kommt nicht oft vor, dass jemand an die Tür des abgelegenen Klosters nahe der baskischen Stadt Guernica klopft. Die Ordensschwester machte sich auf, öffnete die Pforte und erblickte einen Mann in Begleitung seiner Frau. Der Mann stellte sich als Trainer des Fußballvereins Athletic aus Bilbao vor, meinte, dass er sehr gläubig sei und bat die Nonne, für ihn und seine Spieler zu beten. Dann gab er ihr einen Rat. „Stellt euren Fernseher ein, ich werde euch und eurer Kloster zum Dank bald grüßen“, sagte der Mann und verschwand.

Der Mann, das ist Marcelo Bielsa. Seit er mit seiner Mannschaft in der Europa League Manchester United eliminierte, ist Bielsa nicht nur den Menschen im Norden Spaniens und in seiner Heimat Argentinien ein Begriff. Athletic Bilbao gehört nun zu den Titelkandidaten, das Viertelfinal-Rückspiel gegen Schalke 04 dürfte nur noch Formsache sein. In Gelsenkirchen hatte Bielsas Team mit begeisterndem Fußball 4:2 gewonnen. In Argentinien nennen sie den 56-Jährigen „El Loco“, den Verrückten, weil seine Leidenschaft für den Fußball weit über das normale Maß hinausgeht. Bielsa besitzt eine gigantische Sammlung von Videokassetten, seine Analysen von Spielen können einen ganzen Tag dauern. Iker Muniain, Torschütze und bester Mann im Hinspiel gegen Schalke, scherzte vor einem Spiel: „Morgen werden wir 32 Besprechungen haben und 600 Videos sehen.“ Es heißt, vor der Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea hätte Bielsa per Schiff einen Container mit mehreren Tausend Kassetten nach Asien bringen lassen. Damals betreute er die argentinische Nationalmannschaft, über das Ausscheiden in der Gruppenphase sagte er später: „Ich werde diesen Schmerz nie vergessen, egal, was mir noch Gutes in meiner Karriere widerfahren mag.“

Derzeit sieht es so aus, als könnten seine Spieler in Bilbao die alten Wunden zumindest vernarben lassen. Nach schwachem Saisonstart versteht die Mannschaft mehr und mehr, was Bielsa will. Und das ist viel: höllisches Tempo, den Gegner bei Ballverlust sofort vereint attackieren, stets Überzahlsituationen schaffen und nie die Kontrolle über das Geschehen herschenken. Neben Bilbao spielt auch der FC Barcelona, derzeit das Maß aller Dinge im vereinsfußball, auf diese Weise. Josep Guardiola und Bielsa verbindet eine enge Freundschaft. Pep Guardiola bezeichnete ihn kürzlich gar als "besten Trainer der Welt". Bielsas Trainingseinheiten sind so anspruchsvoll, dass er sich keine Mühe macht, etwas zu verheimlichen. Die meisten Spione würden wohl ohnehin nicht verstehen, was da passiert. Bielsa überfrachtet das Spielfeld mit Markierungen, richtet unzählige Zonen ein und lässt Abläufe bis zum Verdruss seiner Spieler wiederholen. Heraus kommt eine Art Fußball, welche die Menschen schwärmen lässt. Bei der WM 2010 betreute Bielsa Chiles Nationalteam. Die Südamerikaner fielen durch ihr innovatives Spiel auf, kaum eine Mannschaft spielte so erfrischend nach vorn.

Als der Milliardär Sebastian Piñera in Chile Präsident wurde, trat der bekennende Sozialist Bielsa auch deshalb zurück. Ein Angebot von Inter Mailands nicht minder reichem Boss Massimo Moratti schlug er im vergangenen Sommer aus, weil er nicht glaubte, dass die satten Altstars dort bereit wären, seinen Fußball zu spielen. Lieber unterschrieb er für weniger Geld in Bilbao.

Bielsa ist so etwas wie der letzte Idealist im großen Fußball. Und einer, der Wort hält. Zwei Wochen, nachdem er den Nonnen im Kloster einen Besuch abgestattet hatte, brachte er auf der Auswechselbank von Athletic ein Plakat an: „Clarisa“ stand drauf – in Anlehnung an das Kloster Santa Clara, dessen Bekanntheitsgrad sprungartig anstieg. Gerrikabeitia erzählte die Geschichte später der chilenischen Zeitung „La Tercera“. Sie hielt den eigenartigen Besucher entweder für einen Verrückten oder einen Heiligen.

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