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Sport: Der Fall Lehmann

München. Als auf dem Platz die Schlussdramatik Besitz ergriff von der Gala der Emotionen, da erinnerte nur noch der Schriftzug Lehmann auf einem verdreckten orangefarbenen Trikot an einen der frühen Hauptdarsteller.

München. Als auf dem Platz die Schlussdramatik Besitz ergriff von der Gala der Emotionen, da erinnerte nur noch der Schriftzug Lehmann auf einem verdreckten orangefarbenen Trikot an einen der frühen Hauptdarsteller. Die Buchstaben zerrten sich auf dem breiten Kreuz Jan Kollers, den der Lauf des Spiels dazu gezwungen hatte, sich das fremde Hemd überzustreifen.

Der Mann, der es sich anderthalb Stunden zuvor angezogen hatte, saß da schon in der Gästekabine des Münchner Olympiastadions, und das dumpfe Rumoren von den Rängen war alles, was Lehmann blieb von dem Spiel, das ihm kaum eine Grausamkeit erspart hatte: einen Tritt ins Gesicht, zwei Gegentore, einen Platzverweis, und wie er es empfand, eine Verfolgungsjagd durch den Mann über Gelb und Rot.

„Das war einer der schlechtesten Schiedsrichter, den ich je erlebt habe“, sagte Lehmann lange nach dem Abpfiff, als sich sein durcheinander gewirbelter Gefühlshaushalt langsam ausglich. Im ersten Ärger war auch das Wort „blind“ gefallen. „Ich glaube, der Schiedsrichter hat nur darauf gewartet, uns zu bestrafen“, sagte Lehmann, und mit Manager Michael Meier fand sich ein prominenter Verteidiger der Verschwörungstheorie: „Es war für jeden im Stadion offensichtlich, dass Jens Lehmann heute das Schicksal ereilen sollte, das ihn dann auch ereilt hat.“

Natürlich gibt es dazu eine zweite Meinung. Als „sehr weit hergeholt“ stufte Schiedsrichter Michael Weiner diesen Vorwurf ein. „Der Spieler Lehmann kam bis zur Mittellinie gelaufen, um zu protestieren. Allein das stellt den Tatbestand der Unsportlichkeit dar“, urteilte der 33-Jährige in astreinem Paragrafendeutsch, was ihn bei vielen Spielern nicht eben beliebt macht. Unnahbar sei er, manche sagen gar: arrogant. In jedem Fall musste sich Weiner fragen lassen, weshalb er nicht etwa Sebastian Kehl verwarnte, dessen heftige Proteste nach dem 2:1 wohl weitaus eher den Tatbestand der Unsportlichkeit darstellten. Und vor allem: Weshalb er Giovane Elbers Tritt gegen Lehmann, der sehr eng an fahrlässige Körperverletzung grenzte, zuvor nur mit Gelb bestrafte.

Man kann also der Ansicht sein, dass es eine überharte Entscheidung war gegen Lehmann – frei von Schuld macht es ihn dennoch nicht. Es war bereits sein dritter Platzverweis, nur Oliver Kahn hat genau so viele. Als schärfste Bestrafung wird Lehmann indes die vergebene Chance werten, nach zuletzt überragenden Leistungen zum ernsthaften Konkurrenten Kahns aufzusteigen. Dem Münchner, der Konkurrenz bislang nicht allzu ernst nahm, weltweit nicht und deutschlandweit erst recht nicht, mangelte es zuletzt wohl auch deshalb an Selbstvertrauen, weil ihm Lehmann leistungsmäßig beunruhigend nahe gekommen war. Doch nun wird es wohl auch beim DFB so bleiben, wie es in München war: In den entscheidenden Momenten steht Lehmann nicht auf dem Platz.

Daniel Pontzen

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