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Sport: Der Friedhof lebt

Der Aufstieg des japanischen Fußballs

Wenn Franz Beckenbauer heute gut drauf ist als Kokommentator im ZDF, nimmt er sich vielleicht auch mal selbst auf den Arm. Genauer gesagt seinen eigenen Kalauer, mit dem Deutschlands Fußball-Kaiser so gern die Vielfalt seiner eigenen Meinungen deklariert hat. „Was kümmert es mich, was ich gestern erzählt hab?“ Es war im Jahr 1993, als Beckenbauers Fuhrpark von einem deutschen Fabrikat auf Mitsu– bishi umgestellt wurde. In den recht lukrativen Werbevertrag hatten die Tokioter Manager als wichtige Gegenleistung Beckenbauers Beratertätigkeit für das Fußball-Entwicklungsland Japan aufgenommen. Die deutsche Ikone sollte sowohl beim Aufbau der nationalen J-League helfen als auch international Honneurs machen, damit auch die Weltmeisterschaft in Japan lande. Das Geld hat sich Beckenbauer gern überweisen lassen, in kleiner Runde aber auch gestanden, dass er sich auf einen unerfüllbaren Auftrag eingelassen habe: „In den japanischen Stadien ist es so ruhig wie auf dem Friedhof, in jeder kleinen Dorfkirche ist mehr los.“

Elf Jahre später wird das verschnarchte Fußballland Japan seinem einstigen Entwicklungshelfer optisch und akustisch die Antwort geben auf dessen Vorurteil. Und das nicht nur, weil die deutschen Fußballer in Japan immer noch einen großen Namen haben. Auch bei den letzten internationalen Auftritten in den WM-Arenen des Großraums Tokio wurden die 65 000 und 70 000 Tickets für Saitama und Yokohama innerhalb von zwei Stunden verkauft, obwohl es sich bei den Gegnern um Indien und Singapur gehandelt hat.

Asiens beste Fußballnation ist im vergangenen Jahrzehnt zu einer Großmacht in diesem Sport gewachsen. Kein anderes Land hat einen vergleichbaren Boom erlebt. Es war ein Befehl von oben, Wirtschaftsmacht und Nation sollten sich auch im populärsten Sport der Welt produzieren. Politiker und die oft als „Nippon Connection“ verspotteten Konzerne setzten all ihre Werbekräfte hinter dieses Unterfangen. Die J-League gilt heute als absoluter Musterbetrieb, deren Erfolg sich nur noch mit der NBA oder NFL, den Vereinigungen der amerikanischen Basketball- und Footballklubs, vergleichen lässt. Und die vom Brasilianer Zico trainierte Nationalelf hat im Sommer beim Asien-Cup ihre kontinentale Vorherrschaft bestätigt.

Heute schaut man vom Mutter-Erdteil Europa schon mit einem gewissen Neid nach Japan. Und weil die freundlichen Fans in ihren blauen Uniformen auf ihren Tourneen gewöhnlich mehr Geld liegen lassen als die Anhänger aus anderen Ländern, laden Franz Beckenbauer in seiner Eigenschaft als OK-Chef der WM 2006 und der Adidas-Vorstandsvorsitzende Herbert Hainer die Freunde aus Fernost heute nicht ganz uneigennützig zu ihrem großen Turnier nach Deutschland ein. Fast 30 000 Fans sind 1998 nach Frankreich gereist. Und Adidas verkaufte während der Weltmeisterschaft 2002 allein in Japan mehr als eine Million der blauen Nationaltrikots.

Wenn es immer steil nach oben geht, stellt sich irgendwann auch die Angst vor dem Absturz ein. Japan kann es sich nicht leisten, die nächste WM zu verpassen – ein schreckliches Bild, wenn stattdessen die armen Kicker aus Nordkorea nach Deutschland dürften. In Pjöngjang werden Zicos Leute ohne Unterstützung aus der Heimat antreten müssen, weil kaum damit zu rechnen ist, dass das Regime des Diktators Kim II. den japanischen Fans Visa ausstellt. Der Rat, den Verbandspräsident Kawabuchi seiner Elf gab, ist deshalb durchaus ernst gemeint: „Holt zehn Punkte aus den ersten vier Spielen, dann lassen wir die Reise nach Pjöngjang ausfallen.“

Martin Hägele[Yokohama]

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