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Sport: Der Mythos vom Schicksal

Von Ulrich Hesse-Lichenberger Die Irin Margaret Wolfe Hungerford schrieb einst: „Schönheit liegt allein im Auge des Betrachters.“ Ihr Satz hat es als Sinnspruch in viele Sprachen und Kulturen geschafft, doch seine Bedeutung erschließt sich den meisten Menschen nur alle vier Jahre - bei Fußball-Weltmeisterschaften.

Von Ulrich Hesse-Lichenberger

Die Irin Margaret Wolfe Hungerford schrieb einst: „Schönheit liegt allein im Auge des Betrachters.“ Ihr Satz hat es als Sinnspruch in viele Sprachen und Kulturen geschafft, doch seine Bedeutung erschließt sich den meisten Menschen nur alle vier Jahre - bei Fußball-Weltmeisterschaften. Die deutsche Nationalelf steht im Finale, und im Ausland knirschen die Betrachter mit den Zähnen. Ihre Reaktionen sind vielleicht nicht ganz so krass, wie es Mitte der 80er Jahre üblich war, als die französische „Liberation“ unseren Fußball schon mal als „wildes Tier“ bezeichnete, das man „in seinem eigenen Urin ertränken“ sollte, weil „es das Schicksal immer gut mit den Deutschen meint". Aber die Worte „Ungerechtigkeit“ und „Mogelei“ hört man in diesen Tagen häufig, wenn es um Rudi Völlers Mannschaft geht. Selten jedoch hierzulande.

Ist das nicht erstaunlich? Zwei Jahre lang haben die Deutschen laut über Schönheit und Gerechtigkeit schwadroniert. Sie wollten den Fußballgott zum Teufel schicken, weil er den schönen Fußball der Schalker und Leverkusener nicht belohnt hat, stattdessen Bayern und Dortmund unverdiente Meisterschaften bescherte. Fast verachtet wurden diese Titelträger für ihre Fähigkeit, sich im entscheidenden Moment zum Sieg zu stolpern. Hätte ein Spieler dieser Teams zu behaupten gewagt, dass Schönheit und Gerechtigkeit im Ergebnis liegen, dann wäre er dem Fußballgott gleich hinterher geschickt worden.

In diesen Tagen aber blickt Bayerns Jens Jeremies in die Kamera, sagt: „Wer gewinnt, hat immer Recht.“ Und er erntet zustimmendes Kopfnicken der ganzen Nation. Ist das jetzt typisch Deutsch - opportunistisch, erfolgsorientiert, ein wenig zynisch? Nein. Das hat nichts mit Nationalitäten zu tun, sondern mit dem Spiel. Und mit dem Standpunkt des Betrachters, der sich mit dem Ergebnis ändert.

Zwei Jahre lang sprach in Frankreich niemand über Schönheit und Gerechtigkeit. Vergessen waren das Gegurke gegen Paraguay und das Elfmeterschießen gegen Italien 1998, das skandalumwitterte Golden Goal gegen Portugal und der späte Ausgleich im Finale 2000. Der Sieger glaubt immer, durch das Ergebnis sei alles gesagt, selbst wenn er kein Deutscher ist.

Und warum tut er das? Weil es im Sport tatsächlich so ist. Der Boxer, der Treffer um Treffer einsteckt, aber dann den K.o.-Schlag anbringt, hat verdient gesiegt. Der Tennisprofi, der Runde um Runde in Wimbledon nach fünf Sätzen gewinnt, hat sich nicht etwa durchgemogelt, sondern eben die berühmten Big Points gemacht. Darüber herrscht selten Uneinigkeit. Im Fußball aber tut man so, als ginge es etwa bei einer WM darum, die beste Mannschaft der Welt zu ermitteln. Dabei ist sie – wie Wimbledon – nur ein Turnier, in dem man einen Sieger ermittelt. Und wer immer das sein wird, hat es aus der inneren Logik des Spiels heraus automatisch verdient. Selbst wenn er Deutschland heißt.

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