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Sport: Der Rote Oktober ist Vergangenheit

Markus Beyers Karriere könnte heute enden

Markus Beyer stopft die durchgeschwitzten Trainingsklamotten in die Sporttasche. Handschuhe, Bandagen, Kopf- und Tiefschutz. Er blickt noch einmal nachdenklich durch die karge Boxhalle und murmelt vor sich hin: „18 Jahre – mein Gott, was für eine lange Zeit.“ Der Boxer aus dem Erzgebirge ahnt: Es war wahrscheinlich das letzte Mal, dass er wegen der wohltuenden Ruhe und der guten Luft in der ehemaligen DDR-Kaderschmiede Zinnowitz an der Ostsee trainiert hat. Auch der Renommier-Hotelkasten nebenan, heute das „Baltic“, damals „Roter Oktober“, wird nach 18 Jahren wohl einen Stammgast verlieren.

Vier Runden Sparring in dem alten Flachring mit den morschen Seilen gegen den langen Litauer Vaidas Balciauskas, vier Runden lang Schläge gegen den Sandsack, dann ist Beyers letzte Arbeitseinheit beendet. Ulrich Wegner steht daneben, die Stoppuhr in der Hand und gibt die Kommandos: „Feuer!“ Wie damals vor 18 Jahren, als der bärbeißige Boxlehrer in dieser Halle die DDR-Junioren auf die Europameisterschaft 1988 vorbereitete. Markus Beyer gewann damals den Titel – im Fliegengewicht. „Uli hat mich in der Sauna eingesperrt, damit ich das Gewicht bringe“, erinnert sich der WBC-Weltmeister im Supermittelgewicht.

Beyer muss sich mit 35 Jahren immer noch schinden, um unter dem Gewichtslimit zu bleiben – diesmal unter 76,203 kg für den Titelvereinigungskampf gegen den unbesiegten dänischen WBA-Champion Mikkel Kessler (37 Kämpfe, 37 Siege, 28 durch k.o.) am Samstag im Parken Stadion von Kopenhagen. Beyer spreizt seine fast zarten Finger. „Meine Mutter sagt immer, ich habe Hände zum Klavierspielen und nicht zum Boxen.“ Die Ursache: Wachstumsstörungen durch das ständige Gewichtmachen, seit 18 Jahren.

Markus Beyer verströmt alles andere als Optimismus und Zuversicht. „Markus ist bedrückt, weil er im Ausland boxen muss“, erklärt Wegner. „Aber er hat eine reelle Chance.“ Die ungewohnt halbherzige Prognose des Trainers lässt nichts Gutes ahnen. Beyer behauptet natürlich, er denke „nie an eine Niederlage“, weiß aber, „dass es einer meiner schwersten Kämpfe wird“. Wenn er verliert, auch das weiß Beyer, wird er wohl seine Karriere beenden. Er legt sich vorher freilich nicht fest. Eine Gelegenheit, sich zum dritten Mal den Titel zurückzuholen wie nach dem K. o. gegen Glenn Catley (2000) und nach der Punktniederlage gegen Cristian Sanavia (2004), würde ihm das Management von Sauerland Event kaum noch einmal verschaffen.

Zu sehr hat Sauerland Beyer trotz einer garantierten Kampfbörse von 1,2 Millionen Euro spüren lassen, dass man ihn als Auslaufmodell betrachtet. Beyer fühlt sich abgeschoben. Die WM-Kollegen Abraham und Walujew, die die Kampfstätte siegreich trotz doppelten Kieferbruchs verlassen oder mit der Masse von drei Zentnern und 2,13 Metern Aufsehen erregen, sind die attraktiveren Fernsehstars im Sauerland-Stall. „Ich bin für das Geschäft zu ruhig und zu brav“, räumt Beyer ein.

Ihn ärgert aber nicht die mangelnde Aufmerksamkeit, sondern das offenbar geschwundene Interesse seines Managements, das sich erst gar nicht darum bemüht habe, den Kampf nach Deutschland zu holen. Beyers Wunschgegner war Joe Calzaghe, der unbesiegte Champion der WBO und IBF. „Der wäre reizvoller gewesen, weil er der Bekannteste ist. Der hätte mich richtig motiviert.“ Sven Ottke hatte stets vor Calzaghe gekniffen. Frank Warren, Manager und Promoter des Walisers, signalisierte Bereitschaft. „Es sah gut aus“, erzählt Beyer. Bis ihm von seinem Management plötzlich mitgeteilt wurde, Calzaghe boxe nicht im Oktober. Der Termin in der ARD heute (live ab 23 Uhr) aber stand fest. Seltsam jedoch, dass Calzaghe nun am selben Tag seine Titel gegen Sakio Bika, Beyers letzten Gegner, in Manchester verteidigt.

Hartmut Scherzer[Zinnowitz]

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