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Sport: Der siegende Holländer

Von Stefan Hermanns Ulsan. Eigentlich, so hat eine koreanische Zeitung in dieser Woche geschrieben, fehlt Guus Hiddink eine entscheidende Voraussetzung zum Volkshelden in Korea: Er ist kein Koreaner.

Von Stefan Hermanns

Ulsan. Eigentlich, so hat eine koreanische Zeitung in dieser Woche geschrieben, fehlt Guus Hiddink eine entscheidende Voraussetzung zum Volkshelden in Korea: Er ist kein Koreaner. Aber über diesen kleinen Makel sehen die meisten der 46 Millionen Einwohner des Landes inzwischen großzügig hinweg. Innerhalb von 17 Monaten hat es der Holländer Hiddink vom beargwöhnten Ausländer zum nationalen Helden gebracht. Am Freitag, dem Tag vor dem Viertelfinale der südkoreanischen Fußball-Nationalmannschaft gegen Spanien (8.30 Uhr MESZ, live in der ARD), haben die meisten Zeitungen wieder einmal ein Bild von ihm auf die Titelseite genommen: Hiddink nach dem Training im Gespräch mit Journalisten. Ein ziemlich langweiliges Motiv.

Aber was heißt schon langweilig, wenn es in diesen Tagen um Hiddink geht? Auch nach der Weltmeisterschaft wird der 55-Jährige vermutlich noch wochenlang in den Medien auftauchen. In Gwangju soll eine Straße nach ihm benannt werden, möglicherweise auch das Fußballstadion, und überall im Land könnten nach dem Turnier Hiddink-Denkmäler enthüllt werden – so wie nach 1871 jede Stadt im Deutschen Reich einen Bismarck aufstellte. Der Holländer ist längst mehr als ein Fußball-Trainer. Die von ihm betreute Nationalmannschaft hat mit ihren Erfolgen eine bisher nicht gekannte Begeisterung im Lande ausgelöst. Nie war das südkoreanische Volk so ausgelassen, einig und selbstbewusst wie in den Wochen der Weltmeisterschaft. Nach ihren leidenschaftlichen Auftritten gelten die Nationalspieler bereits als Symbolfiguren für ein junges und dynamisches Korea. Und möglich gemacht hat das einer, der nicht einmal Koreaner ist.

Hiddink sei in seinem Amt als Nationaltrainer mit dem Geschäftsführer eines erfolgreichen Unternehmens zu vergleichen, haben die Professoren der Management-Fakultät von der Sogang-Universität in Seoul geschrieben. Sie wollen ihm nach der WM die Ehrendoktorwürde ihrer Fakultät verleihen. Dabei hatte die Beziehung alles andere als harmonisch begonnen. Vor knapp zwei Jahren hatte der südkoreanische Fußballverband einen gewissen Sam Ka mit dem Auftrag nach Europa geschickt, einen neuen Trainer für die Nationalmannschaft ausfindig zu machen. Erster Kandidat war Aimé Jacquet, der 1998 mit Frankreich Weltmeister geworden war. Doch Jacquet hatte seine Karriere beendet und ließ sich auch von Sam Ka nicht umstimmen. Die zweite Wahl der Südkoreaner war Hiddink. Bei der WM 1998 hatte er mit Holland das Halbfinale erreicht und in der Vorrunde unter anderem 5:0 gegen Südkorea gewonnen. „Wenn die Mannschaft 5:0 gegen uns gewinnt“, haben die Koreaner gedacht, „dann muss der Trainer gut sein.“ Hiddink nahm das Angebot an, allerdings erst, nachdem er seine Bedingungen durchgesetzt hatte. Hiddink wollte seinen Trainerstab selbst zusammenstellen, und vor allem sollten ihm die Nationalspieler unbeschränkt zur Verfügung stehen.

Als er im Januar 2001 in Seoul aus dem Flugzeug stieg, sagte Hiddink: „Um ehrlich zu sein, ich weiß fast nichts über Korea.“ Hiddink ist ein Mensch, der immer gerade heraus seine Meinung sagt. Die Koreaner sind diese Direktheit nicht gewohnt. Auch deshalb schwand die Popularität des Holländers schnell. „Ich habe den beschwerlichen Weg gewählt, um die Mannschaft auf Weltniveau zu bringen“, sagt Hiddink. „Ich wusste vorher, dass dies Kritik auslösen könnte, aber ich wusste auch, dass dies der einzig richtige Weg war." Hiddink hat aus einer Mannschaft, die bei seinem Amtsantritt „schüchtern auf dem Platz stand“, ein Team geformt, das an sich und seine Stärken glaubt. Die ersten koreanischen Worte, die er zu seinen Spielern sprach, waren „ppalli, ppalli“ – schnell, schnell. Bis heute spricht er nur wenig mehr Koreanisch. „Wir kommunizieren über Transpiration“, sagt Hiddink. „Die Spieler sehen mich schwitzen und sind bereit, das Gleiche zu tun." Der Erfolg der Südkoreaner ist zunächst einmal das Resultat ihrer überragenden körperlichen Fitness. Hiddink hat die alten Stars mit den verbürgten Privilegien aussortiert und vor allem auf junge Spieler gesetzt. Seit März arbeitet er täglich mit der Mannschaft zusammen. Aber seine Spieler können nicht nur schnell rennen, „der holländische Globetrotter hat den Koreanern beigebracht, mit Verstand zu rennen“, hat die spanische Zeitung „El Pais“ geschrieben. „Taktisch haben sie eine Menge gelernt“, sagt Hiddink, „unglaublich.“

In der Vorbereitung auf die WM hat Hiddink sein Team vor allem gegen stärkere Gegner spielen lassen – nicht immer mit angenehmen Ergebnissen. Beim Konföderationencup vor einem Jahr unterlag Südkorea Weltmeister Frankreich mit 0:5. Der Trainer wurde von den Medien heftig kritisiert. Hiddink ignorierte das einfach. Kurz vor der WM spielte die Mannschaft erneut gegen Frankreich und unterlag nur noch mit 2:3.

„Die Koreaner haben eine große Fähigkeit: Sie sind sehr lernfähig“, sagt Hiddink. „Bevor sie meine Organisation begriffen haben, sind sie wie Hühner herumgerannt. Danach wurde die Mannschaft in jedem Spiel besser. Inzwischen komme ich selber kaum mehr aus dem Staunen heraus.“ Auch die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die Erfolge „übersteigen mein Vorstellungsvermögen“, sagt Hiddink. Nach der WM geschieht nun das Unvorstellbare. Als erster Ausländer soll Guus Hiddink die südkoreanische Ehrenbürgerschaft verliehen bekommen. Dann wird der Holländer doch noch ein Koreaner.

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