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Sport: Der Spielkunst unterlegen

Die Münchner verlieren das Spiel im Mittelfeld

München - Nach einer gespielten halben Stunde waren die meisten der 66 000 Zuschauer in der Münchner Allianz-Arena für ein paar Momente genau so unentschlossen wie die Spieler des FC Bayern auf dem Rasen. Schließlich entschied sich die Mehrheit des Publikums für lautstarken Protest. Wenn gar nichts geht, wird gepfiffen. Die Spieler auf dem Feld haben diese Möglichkeit nicht. Ihnen sollte gefälligst etwas mit den Füßen einfallen. Das tat es aber nicht. Die Bayern waren im Ballbesitz, aber bis auf die beiden Stürmer, Roy Makaay und Lukas Podolski, traute sich niemand in die Hälfte des AC Mailand. Mag sein, dass der Gastgeber wegen eines 0:2-Rückstandes in dieser Phase des Spiels noch etwas geschockt war, aber so wenig Vorwärtsdrang, so wenig Inspiration waren selten beim FC Bayern.

Schon die Aufstellung ließ gestern Abend nichts Gutes vermuten. Zwar hatte der studierte Mathematiklehrer und Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld errechnet, dass ein Heimvorteil so um die 20 Prozent wiegen würde, doch da machte er den zweiten Schritt vor dem ersten. Hitzfeld schickte trotz der besseren Ausgangsposition durch das auswärtige 2:2 im Hinspiel und des Heimvorteils ein Mittelfeld aufs Feld, das ausschließlich aus defensiv veranlagten Spielern bestand. Neben Mark van Bommel und Owen Hargreaves, die in der Zentrale spielten, gehören auch die beiden Außen, Christian Lell und Andreas Ottl, eher ins Fach der Zerstörer. Ihnen gegenüber stand eine Mittelfeldachse, die immer noch – oder mittlerweile wieder – zur Weltklasse gehört. Allein Clarence Seedorf, Andrea Pirlo und der Brasilianer Kaka besitzen ein kreatives Potenzial für zwei Mannschaften. Gegen diese Künstler keine Torchance zuzulassen, ist fast unmöglich. Was hatte sich Hitzfeld bloß dabei gedacht?

Der Mangel an Kreativität im Bayern-Mittelfeld offenbarte sich gestern vor allem in der ersten Hälfte. Zwar war in van Bommel ein starker Spieler der Marke Antreiber ins Team zurückgekehrt, aber der verletzungsbedingte Ausfall von Nationalspieler Bastian Schweinsteiger wirkte schwerer. Nach dem Weggang Michael Ballacks und Zé Robertos zum Saisonbeginn sowie dem Karriereende von Sebastian Deisler zu Beginn der Rückrunde verwalten die Bayern den Mangel an Spielkunst im zentralen Mannschaftsteil mehr schlecht als recht. Auf der Gegenseite zeigten Seedorf, Kaka oder eben Pirlo, wozu kreative Füße allein durch Einzelaktionen auszurichten im Stande sind. Der Pass von Seedorf auf Inzaghi vor dem 2:0 hätte wohl jede Abwehr durchschnitten wie ein Messer die Butter. „Die Mailänder sind besser, kompakter und einfach spielfreudiger“, sagte Franz Beckenbauer.

Mit Beginn der zweiten Halbzeit korrigierte Hitzfeld seine defensive Grundaufstellung. Für Ottl brachte er den offensiven Roque Santa Cruz. Das Spiel wurde etwas ausgeglichener, die Bayern erspielten sich sogar einige Torchancen. Allerdings folgten die Taten der Bayern-Profis eher ihrem Willen denn ihrer spielerischen Raffinesse. Einen spielstarken Strategen, der wie der Mailänder Pirlo mit seinen spinnennetzartigen Pässen Regie führt, haben die Bayern nicht. Bis zu einem gewissen Punkt mag das vorhandene Personal reichen, für Europas Spitze aber fehlt den Münchnern eine ganze Klasse.

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