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Sport: Der Turbo-Diesel aus dem Allgäu

Im stolzesten Moment seiner Karriere hüllte sich Juanito Mühlegg in eine spanische Fahne. Der Matador baute sich vor der Tribüne auf, vor jenem Block Zuschauer, die ihm von der iberischen Halbinsel aus hinterhergereist waren, um den neuen Star der Loipen auf dem Hochplateau der Wasatch-Berge zu feiern.

Im stolzesten Moment seiner Karriere hüllte sich Juanito Mühlegg in eine spanische Fahne. Der Matador baute sich vor der Tribüne auf, vor jenem Block Zuschauer, die ihm von der iberischen Halbinsel aus hinterhergereist waren, um den neuen Star der Loipen auf dem Hochplateau der Wasatch-Berge zu feiern. Er habe die Goldmedaille über 30 Kilometer "im Stil eines Torero" erkämpft, erzählte Mühlegg den Reportern von "El Mundo" und "El Pais" in deren Landessprache. Den internationalen Medien hatte er seinen Triumph auf englisch ("I have a turbo diesel") verkauft. Man wollte ja schon eine genaue Erklärung des Siegers hören für dessen sensationelles Rennen samt der tollkühnen Taktik. Wenn so ein Turbo-Diesel nämlich volle Kanne läuft, kann er konstant sein Tempo halten. Und er tourt so zuverlässig, dass er nicht mehr einbricht.

Salt Lake City 2002 Newsticker: Aktuelle Nachrichten von den XIX. Winterspielen sowie weitere Sportmeldungen Jochen Behle, Langlauf-Koordinator des Deutschen Ski-Verbandes, war bis vor sechs Jahren Trainingspartner und auch so ziemlich der letzte deutsche Sportler, der damals noch zu Mühlegg gehalten hat. Er ist mit seiner Kritik unverdächtig. Wenn Behle also sagt, er habe noch nie eine solche Langlauf- Demonstration gesehen, "so wie der die Konkurrenz sortiert hat", ist das eher untertrieben. Wenn dafür überhaupt der Vergleich in einer anderen Ausdauersportart existiert, muss schon Lance Armstrong herhalten. Ähnlich wie der dreimalige Tour-de-France-Sieger das Peloton beherrscht, mit den Kräften und der Psyche seiner Konkurrenten spielt, so dominierte Mühlegg das Feld hinter sich. Sie versuchten ihn zu jagen und liefen doch immer weiter hinter ihm her. Oder sie kapitulierten bereits nach einem Drittel der Strecke entnervt wie Mitfavorit Per Elofsson, der am Morgen noch davon gesprochen hatte, er könne bei diesen Spielen vier Goldmedaillen gewinnen.

Es ist keinesfalls Utopie, aber Mühlegg kann in den nächsten Tagen jene Erfolge einheimsen, mit denen der schwedische Doppelweltmeister kalkuliert hatte. Seine phantastische Form und der brutal harte Kurs erlauben diese Prognosen. Über 50 Kilometer im klassischen Stil, wo er den Weltmeistertitel trägt. Auch über 15 Kilometer ist ihm alles zuzutrauen. Erst recht bei den Verfolgungsrennen, der kraftintensivsten Disziplin. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird Juanito oder Johann Mühlegg mit mehr Medaillen nach Europa zurück fliegen als bislang in der gesamten Wintersportbilanz Spaniens verzeichnet waren. Das sind nur zwei. 1972 gewann Francisco Fernandez Ochoa Gold im Slalom von Sapporo, 20 Jahre später kurvte dessen Tochter Blanca gleichfalls im Stangenwald zur Bronzemedaille.

König Juan Carlos wird sich also freuen, Juanito erst recht, wenn er nun zum zweitenmal zu einer Privataudienz am Madrider Hof eingeladen wird. Im vergangenen Juni war Mühlegg perplex gewesen, wie gut sich der Monarch mit dem Skilanglauf auskennt. Mühlegg war dermaßen inspiriert von seiner Majestät, dass er bei seinen Besuchen in der Heimat berichtete, er sei der erste Sportler überhaupt gewesen, der vom Königshaus eingeladen worden sei. Und dieses Treffen habe seiner Karriere neuen Sinn gegeben: "Nun gewinne ich auch für den König".

Schön für den 31-Jährigen mit der doppelten Staatsbürgerschaft. Dennoch wird es nicht lange dauern, bis sich Johann Mühlegg aus Marktoberdorf dann doch einmal Gedanken machen muss, ob er nicht fürs falsche Land olympisches Gold gewonnen hat. Denn wäre Johann Mühlegg am Samstagmittag in einem schwarzrotgoldenen Renndress gerannt, wäre er bereits heute eine Sport-Legende in Deutschland. Und anders als zwischen Pyrenäen und Costa del Sol wartet hier ein Sportmarkt auf neue Helden, die auch aus dem Wintersport kommen dürfen, wie die gegenwärtige Begeisterung um die Skispringer Sven Hannawald oder Martin Schmitt zeigt. Johann Mühlegg hätte Deutschland für den Ski-Langlauf erschließen können. Wenn er nur rechtzeitig die Kurve genommen hätte, könnte der Allgäuer nun in den medialen Spuren von Tennis-Becker und Fahrrad-Ullrich fahren. Das wird nun schwer oder fast unmöglich: Denn bei Olympia darf Mühlegg nie mehr in der deutschen Delegation starten.

Dennoch deuten manche Zeichen auf Annäherung hin. Dass er im Herbst in die CSU eingetreten sei und er sich im Wahlkampf für den Kanzlerkandidaten Stoiber stark machen wolle, waren die einzigen Sätze, die Mühlegg während der Sieger-Interviews in seiner Muttersprache artikuliert hat. Schon bei der Definition seiner gesellschaftlichen Vorstellungen ("In Spanien unterstütze ich die gleiche politische Richtung") verfiel er wieder ins Englische. Mühleggs Überlegungen sind jedoch auch merkantiler Natur. Die Nordische Ski-WM 2005 in Oberstdorf braucht ein attraktives Zugpferd. Und ein allseits geschätztes Sport-Idol fördert auch den Umsatz im Haus Jeremia am Zigeunerwegl 5 in Grainau, eine Ferien-Anlage mit 20 Appartements, deren Verwaltung (Hotel-Operator) Johann Mühlegg in der olympischen Datenbank als Beruf angegeben hat.

Genauere Fragen nach dieser Immobilie, in der auch das Ehepaar Agostinho leben, sollte man besser nicht stellen. Das Verhältnis zu Frau Agostino, die Mühlegg "die Gnade nennt", hat bekanntlich zur Trennung zwischen ihm und dem nationalen Verband geführt. Mühlegg selbst betrachtet das mittlerweile als erledigt und will öffentlich nicht darüber diskutieren. Ansonsten scheint er kompromiss- und gesprächsbereit. Mit der "Bild"-Zeitung etwa hat er sich zwei Stunden lang zu einem Interview getroffen. Doch weil einer der Reporter wegen "der Gnade" nachhakte und der zweite das von Frau Agostinho geweihte Wasser als "Geisterwasser" bezeichnet hat, wurde das Gespräch nicht zum Druck freigegeben.

Martin Hägele

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