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Sport: Der Ungefühlige

Beim FC Bayern nennen sie ihn „Killer-Kalle“, Karl-Heinz Rummenigge hat viel Macht – aber nicht alle nehmen ihn ernst

Berlin/München. Mit so manchem Zeitgenossen hat es sich Karl-Heinz Rummenigge gewaltig verdorben. Mit Günter Netzer zum Beispiel. Dem analytischsten und sachbezogensten Promi unter den Fußball-Experten schüttete er das Kraut aus, als er auf dem Höhepunkt des von Teamchef Rudi Völler angezettelten Kritiker-Bashings Netzer die Verunglimpfung der DDR samt ihren Bewohnern vorwarf. Netzer hatte, in der Sache nahezu unbestritten, dem Bayern-Spieler Michael Ballack wegen dessen Erziehung und Ausbildung im kollektiven Arbeiter- und Bauernfußball Führungsqualitäten im hierarchischen Gebilde einer profitorientierten Fußballelf abgesprochen. Von seiner harschen Kritik wollte Rummenigge nicht mehr viel wissen, als er Netzer auf einem Bankett beiläufig traf: Er wand sich auf der Suche nach Ausreden – Netzer wendete sich mit Grausen ab vom Populisten: vom scheinbar mächtigsten Mann beim FC Bayern.

Nach Lage der Dinge ist dieser Tage Ottmar Hitzfeld, der von Rummenigge schwer gemobbte Bayern-Trainer, in die Riege derjenigen eingetreten, die den Vorstandsvorsitzenden der FC Bayern AG am liebsten von hinten und schweigend sehen. Angeführt wird die Riege von Franz Beckenbauer. Mit hörbarem Behagen hat er gerade seinen Nachfolger als obersten Chef der Bayern zurechtgewiesen und Hitzfeld – mehr als Bekenntnis denn als Verhandlungssache – eine Vertragslaufzeit bis weit über Hitzfelds Rentengrenze hinaus angeboten.

Es hagelte Proteste

Irgendetwas läuft nicht rund in Rummenigges Karriereplan. De facto hat er Macht, viel Macht sogar: als Vorstandsvorsitzender ist er verantwortlich für die Bereiche Öffentlichkeitsarbeit, Neue Medien, für die Koordination innerhalb des Vorstandes sowie für die Vertretung der FC Bayern AG in den nationalen und internationalen Gremien. In der „G 14“, als Vereinigung der europäischen Großvereine so etwas wie ein europäisches Fußballparlament der Mogule, ist er Vizepräsident und Sprecher. Und vereinsintern wie familienintern wird er „Killer-Kalle“ genannt.

„Killer-Kalle“ aber gefällt Rummenigge, wohl auch, weil es seinem Wunsch entspricht, als tougher Manager zu gelten, der Gefühle, so er sie hat, hintanstellt hinters große Ganze. Es ist nur leider oft so, dass Kalles Killer-Attacken leicht enden wie das Hornberger Schießen. Als er im Januar vorschlug, ein Bundesliga-Livespiel am Sonntagmittag anzupfeifen, hagelte es Proteste von anderen Sportverbänden – unter anderem von der Lobbyistenvereinigung Formel 1 –, von Amateurfußballern, und von Beckenbauer kam der gehabte Spott: „Jetzt willst um elf, zwölf, vier oder um Mitternacht spielen?“

Ja, mei, der Franz, immer wieder der Franz! Ein bisschen ist es so, als wolle Sohn Kalle Papa Franz immer mal wieder zeigen, was für ein toller Kerl er ist, und schon längst in der Lage, den Laden alleine zu schmeißen. Dumm nur, dass die letzten beiden Spielzeiten, in denen Rummenigge und Manager Uli Hoeneß den Verein ohne den Alten führten, die Sportbilanz des FC Ruhmreich arg zerzausten. Und dieses Jahr? Abhängig vom Versagen Bremens. Nein, das wird der Franz nicht gutheißen. Wird der Bub vorlaut, gibt’s vom Papa was auf die Pfoten. So war es eigentlich immer, auch schon 1991, als Beckenbauer in irgendeiner Bayern-Krise der bayerischen Notstandsgesetzgebung folgte und sich zum Vizepräsidenten küren ließ. Groß war der Jubel, das Glück umfassend. Dass Karl-Heinz Rummenigge ebenfalls gewählt wurde? Stimmt ja, der war dabei.

Er brachte der Geliebten Kuchen mit

Nun ist es ja gewiss nicht so, dass Rummenigge der Missmanager eines Kleinstunternehmens kurz vor der Insolvenz ist. Der FC Bayern ist immer noch das wichtigste Gremium allen fußballerischen Schaffens hierzulande, und es zu führen, erfordert Kompetenz. Fußball, indes, lebt nicht von Kompetenz allein, es muss auch noch Gefühl hinein. Wo mag das sitzen bei Karl-Heinz Rummenigge? Er sammelt teure Uhren, der Mann hat also ein Faible für Perfektion und Pingeligkeit. Aber Gefühle? Als im vergangenen Jahr eine Liebschaft außerhalb seiner Ehe ruchbar wurde, da taugte das nicht mal eine Woche für den Boulevard. Da wurde nur aufgelistet, dass er die Dame immer nachmittags, immer zur gleichen Zeit, aufsuchte, manchmal brachte er Kuchen mit. Die dunkle Seite des „Killer-Kalle“? Ach was, allenfalls die kleinbürgerliche.

Dabei bemüht er sich. Will nüchterne Härte demonstrieren und wird wohl doch nicht verhindern können, dass Hitzfeld in Ehren und Anstand und Sentiment verabschiedet wird. Will die Sache mit dem formschwankenden Ballack zur Chefsache erklären und rät diesem, mal eine Länderspielpause einzulegen, was dieser voller Respekt mit den schönen Worten kontert: „So einen Scheiß muss ich mir immer anhören.“ Ja, nimmt den Rummenigge niemand ernst?

Vielleicht, weil all die Härte, all die Coolness nur Kälte ist und Attitüde? Vielleicht, weil selbst die Schärfe seiner Verbalattacken immer gleich in die Plattitüde rutscht und in die Verkrampftheit, wenn er seine offensichtliche Lieblingsfloskel „schlicht und ergreifend“ einfügt? Nach dem Ausscheiden aus der Champions League in der vergangenen Saison stauchte der Vorstandschef Rummenigge die Mannschaft beim Bankett zusammen. Das heißt, er versuchte den Anschiss, sprach von einer Leistung, die „schlicht und ergreifend eine Schande“ war und „schlicht und ergreifend ein Albtraum“. Allein, es zuckte niemand zusammen, es schien, als gingen die Worte, schlicht und ergreifend, links rein und rechts aus. Es schien, als fehle Rummenigge selbst im Zorn die Lockerheit, Emotionen zu zeigen.

So macht man sich keine Freunde.

Mitarbeit Daniel Pontzen

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