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Sport: Der vergessene Matchball

Eine leere Cola-Dose musste alles ausbaden. Als Timo Boll sich vor zwei Jahren für das olympische Tischtennis-Turnier in Sydney qualifizierte, ließ er sich nach dem verwandelten Matchball auf den Boden fallen.

Eine leere Cola-Dose musste alles ausbaden. Als Timo Boll sich vor zwei Jahren für das olympische Tischtennis-Turnier in Sydney qualifizierte, ließ er sich nach dem verwandelten Matchball auf den Boden fallen. Und als wenn das nicht schon genug gewesen wäre, zerquetschte er wenig später die besagte Dose. Aus Freude. Er habe nicht gewusst, wohin mit seinen Gefühlen. Wild herumspringen oder gar lauthals schreien - das würde dem heute 21-Jährigen nie einfallen. Auch wenn es dafür in den letzten Monaten genug Anlässe gegeben hätte.

Denn der einstige Kronprinz des deutschen Tischtennis hat sich zum Führungsspieler entwickelt. Der Nachfolger des ehemaligen Europameisters und Olympia-Dritten Jörg Roßkopf hat den Meister selbst überholt. Nach fast 14-jähriger Vorherrschaft Roßkopfs als bester Deutscher in der Weltrangliste löste Boll den 32-Jährigen im Februar ab. Und im März stürmte der junge Hesse sogar auf Rang fünf vor. Roßkopf war nur einmal um einen Platz besser. Einen Vergleich mit seinem Vereinskamaraden vom TTC Gönnern lehnt Boll jedoch bescheiden ab: "Rossi hat über so viele Jahre so viele große Erfolge erreicht, davon bin ich noch weit entfernt." Das stimmt zwar, aber einen historischen Erfolg hat der Deutsche Meister Boll dem 250-maligen Nationalspieler Roßkopf bereits voraus. Im Februar gewann er als erster Deutscher das prestigeträchtige europäische Ranglistenturnier Europe Top 12. Im Endspiel wehrte Boll einen Matchball ab. Und merkte es gar nicht. Hinterher soll er durch einen Journalisten von der brenzligen Situation erfahren haben. "Ich habe nur versucht, Punkt für Punkt zu machen. Dass es ein Matchball war, hätte ich nur bemerkt, wenn das Spiel plötzlich zu Ende gegangen wäre." Anderen hätte bei diesem Spielstand die Hand gezittert. Boll nicht. Das ist eine seiner Stärken.

Der Aufstieg des sympathischen Linkshänders verlief bisher sehr konstant. Noch bevor er in die Schule kam, trat er bereits als Sechsjähriger einem Tischtennisverein bei. 1995 wurde er dreimaliger Schüler-Europameister, zwei Jahre später wiederholte er die Erfolge in der Jugend. Mit 15 bestritt er sein erstes Bundesligaspiel für Gönnern. Aber Boll hat vor allem auch begriffen, dass es neben dem Talent auch auf harte Arbeit ankommt. "Durch die professionelle Trainingseinstellung von Roßkopf habe ich viel gelernt." Beweisen kann er das von heute an bei der EM in Zagreb. Timo Boll ist an Nummer zwei gesetzt und die klare Nummer eins im Team - Jörg Roßkopf fehlt wegen einer Verletzung.

Jörg Petrasch

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