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Sport: Der Weg ist klar, wenn ein Narr vorangeht

Warum Spanien trotz guter Spieler bei großen Turnieren regelmäßig scheitert? Weil die Nationalelf nicht mal die Spieler interessiert. Und weil sie von freudlosen Primitivlingen trainiert wird, die zuweilen manisch transpirieren

Es gibt in Spanien zwei Ämter, deren Inhaber sich früher oder später als Narren erweisen. Das des Ministerpräsidenten und das des Trainers der Nationalmannschaft. Einige Regierungschefs immerhin erkennen das, und sie befreien sich von ihrer Narrheit, indem sie sich früh aus ihrem Amt zurückziehen (zum Beispiel Leopoldo Calvo-Sotelo, der ein paar Wahlen verloren hatte, als er noch nicht mal zwei Jahre lang regierte). Das hat von unseren Nationaltrainern leider noch keiner geschafft, und das ist einer der Hauptgründe dafür, warum Spanien – trotz vieler wirklich guter Spieler – mit schöner Regelmäßigkeit bei Welt- und Europameisterschaften scheitert. Ein depressiver oder haltloser Mann kann nun mal keine Respektperson sein für eine Gruppe junger, überheblicher, wohlhabender Männer. Selbstbewusstsein kann er ihnen auch nicht vermitteln und erst recht keinen Siegeswillen.

Die spanischen Trainer fühlen sich immer von der Presse und den Fans verfolgt. Man hat den Eindruck, sie würden ihre ganze Energie einerseits dafür einsetzen, sich selbst zu verteidigen und andererseits dafür – und jetzt wird es paradox –, Presse und Fans so sehr gegen sich aufzubringen, damit man sie erst recht attackiert und zum Rücktritt zwingt. Es scheint so, als könnten sie einfach nicht darauf verzichten, sich selbst ins Unglück zu stürzen. Ein seltsamer Teufelskreis. Die Nationaltrainer leiden unter dem öffentlichen Druck, können und wollen ihm aber nicht aus dem Weg gehen. Im Gegenteil, es sind ja gerade sie selbst, die jene Kritik gegen sich forcieren. Es ist beinahe so, als wollten sie uns davon überzeugen, dass sie ihr Amt gar nicht ausüben können, ohne die Öffentlichkeit gegen sich aufzubringen.

So ist es gewesen, seit ich denken kann, aber die augenfälligsten Beispiele liefert natürlich die jüngste Vergangenheit. Da wäre zunächst José Santamaria, ein trauriger Mann, der beim kleinsten Missgeschick zusammenbrach (und unter dem Spanien bei der Heim-WM 1982 zusammenbrach); Javier Clemente, der den langweiligsten und defensivsten Fußball in unserer Geschichte spielen ließ und sich nie mit der Schönheit des Spiels auseinandersetzte, sondern nur mit der Presse; José Camacho, ein Mann, der so heftig transpirierte, dass er seinen Spielern geradezu zwangsläufig den letzten Nerv raubte; und, endlich, der aktuelle Trainer Luis Aragones, ein so primitives Wesen, man kann gar nicht verstehen, dass er genug Psyche hat, um diese zu reizen – und zurzeit ist diese Psyche sehr gereizt. Er hat jetzt für die Europameisterschaft eine Gruppe von jungen Männern ausgewählt, die bisweilen so mittelmäßig sind, dass ein aufmerksamer Fußballfan wie ich nicht einmal weiß, in welchem Verein mancher von ihnen spielt. Fernando Navarro? Ich weiß nicht mal, wer das ist, und er ist nur ein Beispiel.

Presse und Fans haben Aragones lange unter Druck gesetzt, dass er Raúl nominiert, der in dieser Saison so effektiv wie nie gespielt und dabei in der Liga 18 Tore für Real Madrid geschossen hat. Aber der größte Beweis für Aragones’ Irrsinn (und den seiner Vorgänger) ist, dass er nicht den besten spanischen Spieler der vergangenen Jahre berücksichtigt hat: den Mittelfeldspieler Gúti, auch er von Real Madrid, der einzige mit wahrhaftiger Phantasie, Vorstellungskraft und Präzision; der einzige, der auf dem Platz für Unvorhersehbares gut ist; der einzige, der Tore aus dem Nichts vorbereiten kann; der einzige, von dem die Gegner nie wissen, wie sie ihn ausschalten sollen, wenn er einen seiner richtig guten Tage hat. Ohne ihn ist es so gut wie sicher, wie diese EM für Spanien verlaufen wird. Und wenn ich „so gut wie“ sage, dann liegt das nur daran, dass in diesem Sport nie etwas hundertprozentig sicher ist, deswegen schauen ja Millionen auf der ganzen Welt zu. Wer hätte sich vor vier Jahren schon vorstellen können, dass die knauserige, ja geizige griechische Mannschaft Europameister werden würde?

Aber es gibt noch einen anderen wichtigen Faktor, mit dem sich das Versagen der Spanier bei großen Turnieren erklären lässt. Wir interessieren uns hier viel mehr für unsere Klubs als für die Nationalmannschaft, und man kann wohl annehmen, dass es den Spielern genauso geht. Wenn die Nationalmannschaft zu ihren Spielen zusammenkommt, betrachtet man das in Spanien als lästige Unterbrechung der Primera División oder der Champions League. Erst wenn diese beiden Wettbewerbe schon beendet sind und wir sonst keinen Fußball zu sehen bekommen – erst dann widmen wir unsere Aufmerksamkeit der Nationalmannschaft, beinahe so, als wären die Länderspiele eine Ersatzdroge für uns. Dann passiert etwas Seltsames, und zwar in einem recht kurzen Zeitfenster (bis die Nationalmannschaft bei der EM oder WM ausscheidet): Die Kommentatoren in Radio und Fernsehen, die Sportpresse und am Ende auch ein großer Teil der Bevölkerung, sie alle bekommen eine Anwandlung von geradezu dreistem Patriotismus. „Wir werden siegen, warum nicht?“, schreien manche von ihnen, andere brüllen: „Wir sind die Besten!“ – ohne, dass es dafür auch nur den geringsten Anhaltspunkt geben würde, aktuell oder historisch. Zur gleichen Zeit meldet sich die andere Hälfte der Bevölkerung zu Wort und weist diese nationalistische, vulgäre, unsympathische und populistische Attacke aufs Heftigste zurück. Niemals wird die gesamte Nation die Nationalmannschaft unterstützen.

Zwischen dem jeweiligen Nationaltrainer, seinen weitgehend mittelmäßigen Spielern, der regelmäßigen Abwesenheit der Besten und dem wilden patriotischen Geschrei ist es in der Tat schwer, so etwas wie Zuneigung oder Liebe zur Nationalmannschaft aufzubauen. Und ich bin mir sicher, dass darum auch die Spieler wissen, seit sie ins Camp für die Europameisterschaft eingerückt sind – angeleitet von einem Narren.

Der Autor ist einer der bekanntesten spanischen Schriftsteller (u.a. „Mein Herz so weiß“) und bekennender Anhänger von Real Madrid. Aus dem Spanischen übersetzt von Sven Goldmann.

Javier Marías

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