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Sport: Der Zaunkönig von Thalheim

Wer hängt eigentlich die Fan-Fahnen bei den Spielen der deutschen Elf auf?

Thalheim liegt im Erzgebirge. Hier leben 6983 Menschen. Es gibt die Blockhütte „Heimateck Rentners Ruh“, einen Ringerklub und den Fußballverein. Ein bekannter Sohn der Stadt ist Horst Gläß, Mundartsprecher. Der Bekannteste ist: Heiko Martin, 39 Jahre alt, Busfahrer.

Martin trägt Turnschuhe, Brustbeutel, Funktionskleidung. Er hat einen drahtigen Körper und eine Glatze. Er sieht ein bisschen aus wie Pierluigi Collina auf Radtour. Aber das ist nicht der Grund für seine Berühmtheit: Martin besucht seit über zehn Jahren jedes Spiel der deutschen Nationalmannschaft. Er ist immer zu sehen, auch bei dieser EM. Er ist Halter der Zaunfahne „Thalheim“, schwarze Schrift, weißer Grund.

Heute fährt Martin nach Charkiw, zum zweiten Spiel der deutschen Mannschaft. Er ist nervös, denn noch ist nicht ganz klar, wie er „Thalheim“ ins Stadion bekommt. „Ich mag Schrägen“, sagt er. „Da wird sie von den Kameras gut eingefangen.“ Und in der Metalist Arena von Charkiw gibt es einige Schrägen. Man muss nur rechtzeitig im Stadion sein, um sie zu besetzen. Es ist wie mit den Handtüchern auf Mallorca.

Martin reist mit dem Bus des Fanklubs „Sektion Mitteldeutschland“, einer Art Reiseunternehmen der Zaunfahnenhalter. An Bord sind auch „Potsdam“, „Langenbach“, „Selters/TS“ und „Borsti“. Sie nennen sich „Fahnenmafia“.

Zaunfahnen gab es schon in den siebziger Jahren, sie zeigten Wappen der Fanklubs oder waren Ventil für Protest-Slogans. Das Präsentieren der persönlichen Zaunfahne begann später, irgendwann in den Neunzigern. Der Hamburger Frank Niemann war mit „Air Bäron“ einer der Ersten. Er gilt bis heute als König der Szene. „Klar, es gibt Hierarchien“, sagt „Potsdam“, der eigentlich Sebastian Baitz heißt. „Die muss es geben.“ Schließlich ist der Platz in den letzten Jahren knapp geworden. Denn nicht nur die Anzahl der Zaunfahnen steigt unaufhörlich, sondern auch die der Sponsorenflächen. Und die müssen zu sehen sein.

Doch irgendwie hat sich immer noch jede Fahne dazwischen geklemmt. Dafür werden sogar Klub-Rivalitäten ausgeklammert. Bei der Suche nach dem besten Platz hilft man sich untereinander, und wenn mal Material ausgeht, hat irgendjemand sicher Ersatz dabei. Das wichtigste Werkzeug, die Sicherheitsnadeln, bewahren die Zaunfahnenmänner in ihren Brustbeuteln auf.

Trotzdem geht nicht immer alles gut, neulich erst wurde die Fahne „Thalheim“ entwendet. Oft sind es die Ultras, Territorialkämpfe im eigenen Block. „Ich weiß nicht, wie die das gemacht haben“, sagt Martin. Denn er befestigt seine Fahne mittlerweile mit dicken Schlössern, die er unterhalb der Ecken durch Metalösen zieht. Für die EM hat er vorgesorgt: Er hat drei Ersatzfahnen dabei.

Gut gesichert, hängt die Fahne am Abend auch im Metalist Stadion, dafür mussten Martin und die anderen vier Stunden vor Anpfiff vor Ort sein. Den größten Respekt bekommt nach dem Spiel allerdings ein Kölner: Er hatte seine Fahne „Mallorca“ direkt unter der bekanntesten Fahne der Holländer, „Fortume“, befestigt.

„Potsdam“ und „Thalheim“ hingen unter dem Block der Deutschen, übereinander, an einem Ausgang. Daneben: „Air Bäron“. An einer Schrägen. Hierarchie muss es nun mal geben. Andreas Bock

Man muss rechtzeitig

im Stadion sein. Es ist wie mit den Handtüchern auf Mallorca

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