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Deutsches Doppelpack. Bernd Storck und sein Assistent Andreas Möller (links) trainieren Ungarns Nationalteam.

© dpa

Deutsche Trainer für Ungarns Team: Weltmeister als Entwicklungshelfer

Der ungarische Fußball wurde lange von den Erfolgen der Vergangenheit gelähmt. Wie eine Riege deutscher Trainer das ändern will.

In Budapest sind die Schatten der Vergangenheit so lang, dass man sich wundert, wenn man überhaupt mal die Sonne sieht. An jeder zweiten Straßenecke wird man von Puskás- oder Kocsis-Denkmälern begrüßt. Man kann abends ins „6:3“ einkehren, eine Kneipe die an Ungarns sensationellen 6:3-Auswärtssieg 1953 gegen England erinnert. Neuerdings gibt es sogar ein Bier, das Puskás Lager heißt.

Ein paar Stunden in Budapest genügen, um sich einer Sache sicher zu sein: Ungarn war einst die beste Fußballnation der Welt. Bloß wie ist es heute?

Der Außenseiter des Turniers

„Wir sind Letzter“, sagt Andreas Möller, als wir ihn wenige Tage vor EM-Start zu einem Interview mit Ungarns Nationalcoach Bernd Storck treffen. Der Weltmeister von 1990, der kurz vor den Play-off-Spielen von Storck zum Co-Trainer berufen wurde, sitzt im Mai 2016 in einem Budapester Hotel und referiert über die Marktwerte der anderen EM-Underdogs. Tatsächlich schneidet Ungarn in diesem Vergleich am schlechtesten ab. Im Durchschnitt kommt Ungarns Kader auf einen Marktwert von 1,1 Millionen Euro, das sind 500 000 Euro weniger als beim Vorletzten Nordirland. Deutschlands Spieler sind hingegen im Durchschnitt über 25 Millionen Euro wert. Aber es sei nicht nur diese Statistik, die Ungarn zum größten Außenseiter des Turniers machte, sagt Storck. Im ungarischen Nationalteam stehen nämlich kaum Profis mit internationaler Erfahrung, die meisten Spieler sind in der heimischen Liga aktiv, wo Videoton 2015 Meister wurde und sich nicht mal für die Europa League qualifizieren konnte.

Der ewige Blick in die Vergangenheit lärmt

Und trotzdem: Ungarn qualifizierte sich am Dienstagabend durch die Niederlage Nordirlands gegen Deutschland vorab für die Runde der letzten 16.

Bernd Storck und sein Team um Andreas Möller und Holger Gehrke haben großen Anteil daran, aber auch die Vereinstrainer aus Deutschland, Michael Oenning (Vasas Budapest) oder Werner Bürger (MTK Budapest) etwa. Und natürlich Thomas Doll und Ralf Zumdick, die schon vor drei Jahren den darbenden Traditionsklub Ferencvaros übernahmen und zuletzt mit großem Abstand Ungarischer Meister wurden. Wir trafen Doll Ende 2015 in Budapest vor der Groupama Aréna von Ferencvaros. Auch dort begrüßte uns das Denkmal eines Spielers aus der goldenen Ära Ungarns: das von Flórián Albert. Doll schwärmte ein bisschen von den legendären Erfolgen Ungarns, aber als er auf Albert zeigte, sagte er auch: „Der ewige Blick auf die Vergangenheit lähmt natürlich.“

Doll wollte eine eigene Geschichte schreiben. Etwas aufbauen. Viele Trainer holt bei solchen Vorhaben die Realität ein. Bei Doll war es anders. Vielleicht weil er wirklich einen Plan hatte. Oder weil er es nach seiner Zeit in Dortmund, wo er als Dampfplauderer verschrien war, allen beweisen wollte. „Ich möchte den Leuten hier nicht den Fußball erklären“, sagte Doll. „Aber ich fühle mich ein wenig wie ein Entwicklungshelfer.“

Mut zur Veränderung

Storck lobt ihn noch heute dafür, dass er als erster Trainer in Ungarn leistungsdiagnostische Tests durchführte. „Er hat den Leuten gezeigt, dass man innovativ sein muss“, sagt Storck. Denn das sei es, was dem ungarischen Fußball fehle: Mut zur Veränderung. Er selbst war auch mutig. Sein größter Coup war die Nominierung Laszlo Kleinheislers in den EM-Play-off-Spielen gegen Norwegen. Der Spieler hatte noch kein Länderspiel gemacht, und wegen Vertragsstreitigkeiten saß er bei seinem Klub Videoton nicht mal mehr auf der Bank. Nach seiner Berufung fragten Skeptiker: „Wollt ihr den wirklich spielen lassen?“ Ja, sie wollten. Und Kleinheisler wollte auch. Er schoss in Oslo das 1:0-Siegtor. Wenige Tage später gelang Ungarn erstmals seit 30 Jahren wieder die Qualifikation für ein großes Turnier.

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