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Deutscher Gegner: Udo Jürgens: „Österreicher lachen nicht über Witze“

Überaus kultiviert, aber zuweilen fremdenfeindlich, obrigkeitshörig und mit einer seltsamen Nähe zum Tod. Udo Jürgens wundert sich manchmal über seine Landsleute – dabei singt er wie kein anderer über sie.

Herr Jürgens, was lieben Sie an Österreich?

Die Landschaft – wenn der Wörthersee bei Gewitter seine vielen Gesichter zeigt. Das große Gefühl für Kunst – jeden Tag gibt es in den Abendnachrichten einen Kulturteil. Und die Donau. Die ist zwar nicht blau, aber schön ist sie doch.

Und die Menschen?

Der typische Österreicher ist kultiviert, kann gut erzählen. Aber er ist auch eine schwierige Person – eine, die er gar nicht sein will. Österreich ist beeinflusst von vielen Kulturen, aber das will so mancher nicht wahrhaben. Einige sind eine gehörige Portion fremdenfeindlich – wie mancher Deutsche auch. Ich kann das nicht verstehen. Durch den russischen Zweig meiner Familie bin ich ja auch slawischer Abstammung. Ich bin in einem Umfeld von religiöser Vielfalt aufgewachsen.

Glauben Sie, Österreich verliert an Vielfalt?

Wenn ich in Österreich unterwegs bin, sage ich immer: Leute, unserer Toleranz verdanken wir alles, sie hat uns groß gemacht. Kaiser Franz Joseph hat im 19. Jahrhundert Menschen aller Couleur ins Land gelockt, Christen wie Muslime. Erst dadurch ist Wien kulturell erblüht, fast zum Zentrum der Welt geworden.

Sie haben deutsche Wurzeln und leben in der Schweiz. Sind Sie gerne Österreicher?

Natürlich. Nehmen Sie Wien, das ist neben London, Paris und Berlin noch immer die bedeutendste europäische Kulturstadt. Ich weiß, dass Berlin gerade angesagt ist, ich fahre gern hin. Aber es ist die am höchsten verschuldete Stadt Europas. Wien hat keine Probleme mit geschlossenen Schwimmbädern. Dafür fehlt vielleicht das Aufregende, das Gefühl, dass die Stadt einen Wendepunkt durchlebt.

Welches Verhältnis pflegen Sie zu Ihrem Heimatland?

Ich bin ein Mensch, der mit Österreich verbunden wird – und ein Österreicher von Herzen. Andererseits halte ich etwas Distanz. Nur so kann ich meine Landsleute mal kritisieren, von außen, aber mit einem Gefühl der Liebe. Liebe darf nicht unkritisch sein.

Wenige Wochen vor der EM wurde der monströse Inzestfall von Amstetten bekannt. Ein Fall Österreich?

Es handelt sich um einen Einzelfall. Auch in anderen Ländern passieren schlimme Verbrechen, selbst in den besten Villenvierteln der Welt. Trotzdem, diese Familientragödie über Jahrzehnte hinweg macht mich ratlos.

Weil es doch etwas Österreichisches an diesem Verbrechen gibt?

Nein, das glaube ich nicht. Aber es gibt etwas Österreichisches an der Debatte – an der Angst, offen nach Erklärungen zu suchen und seine Identität zu hinterfragen.

Die österreichische Regierung beklagte zunächst, dass das Land in Geiselhaft genommen werde …

Unsere Politiker sind auf dem Parkett der Welt nicht so geschult wie Angela Merkel, die regelmäßig mit den Großmächten parliert. Unserem Bundeskanzler Alfred Gusenbauer hat man seine Nervosität schon angemerkt, die Angst, dass die Fußball-EM in Mitleidenschaft gezogen wird. Amstetten kann überall passieren, doch diese beleidigte Reaktion auf Kritik – das ist ein österreichisches Problem.

Wie sollte das Land Ihrer Meinung nach nun mit dem Fall umgehen?

Die Menschen sind noch immer schockiert. Es gibt sehr viel Mitleid und eine eher verzweifelte Suche nach Erklärungen. Inzwischen flüchtet man sich in Galgenhumor.

Was gibt es da zu lachen?

Es ist eine hilflose Reaktion, um Druck abzulassen. Schauen Sie, ein Österreicher lacht normalerweise nicht über Witze oder platte Pointen. Er liebt den Schmäh, wenn man mit Freunden zusammensitzt und sich beim Wein kleine Geschichten aus dem Leben erzählt. Wenn man sich selbst auf die Schippe nimmt. Einem Verbrechen wie Amstetten kann man sich aber nicht spielerisch nähern. Man kann ihm auch nicht mit schwarzem Humor à la Jack the Ripper beikommen. Es hilft nur humorlose Aufklärung im Sinne der Opfer.

Wie aber kann man die Identität eines Landes aufklären?

Zum Beispiel, indem man sich mit der Kultur des Landes beschäftigt. Man kann sich fragen: Warum haben die Österreicher so ein seltsames Verhältnis zu bestimmten Dingen, etwa zum Tod?

Haben sie das?

Thomas Bernhard, wie ich aufgewachsen in Kärnten, hat immer Nähe zum Tod gezeigt, man findet sie auch in den Wienerliedern. Ludwig Hirsch dichtete einst vom großen schwarzen Vogel, der ihn holen soll „in a neue Zeit, in a neue Welt/ und ich werd’ singen, ich werd’ lachen“. Oder Falcos Lied „Jeanny“. Da besingt er ein Mädchen, das von einem Mann in den Wald gezerrt wird. Eine Vergewaltigung? Ein Mord? Es wird nicht ausgesprochen. Ein grenzwertiges Lied, aber grandios. Die Autoren sind alle Österreicher, und ich frage mich: Wie kommen die ausgerechnet auf solche Themen?

Was glauben Sie denn?

Das kann ich nicht sagen. Ich spüre nur verborgenen Identitäten nach, Traditionen einer Nation, die gerade nach Erklärungen sucht. Viele Österreicher haben auch ein erstaunlich ausgeprägtes Obrigkeitsdenken.

Inwiefern?

Althergebrachte Titel sind wichtig, das Prinzip von Befehl und Gehorsam zählt noch was. Ein einstmals ernannter Hofrat wird weiterhin höher angesehen als ein demokratisch gewählter Politiker. Das Kaiserreich prägt in gewisser Weise noch das Land, obwohl die Adelstitel abgeschafft worden sind. Einen Herrn von Habsburg gibt es nicht mehr, nur noch einen Herrn Habsburg. Aber er wird weiter so behandelt, als gebe es das „von“, als sei er einer, dem man zu folgen hat. Das Obrigkeitsdenken ist tief in der historischen Seele Österreichs verankert. Viele Leute lassen sich herumkommandieren, einfach so.

Wie kann Österreich diese Identität loswerden?

Durch offene Bewältigung. Deutschland arbeitet sich an seinen historischen Katastrophen ab. In Österreich wurde die Nazizeit in viel stärkerem Maße verdrängt, das Thema wird in vielen Schulen übergangen. Die Österreicher fühlten sich lange Zeit als Opfer der Nationalsozialisten, nicht als Täter. Nur kleinlaut wird eingeräumt, dass der Hauptverantwortliche für diese Verbrechen ein Österreicher war.

Das klingt noch nach viel Arbeit ...

Ja, aber wenn man Realitäten anerkennt, kann man sich entwickeln. Das ist eine Chance. Es ist so: Österreich war mal ein Land, in dem die Sonne nie unterging – so groß war es. Im 19. Jahrhundert wurde selbst in Mexiko ein Österreicher als Kaiser etabliert. Heute geht es uns wie den Portugiesen. Österreich war ein Weltreich. An den Wiener Häusern sieht man noch den alten Glanz, sonst ist er verschwunden.

Herr Jürgens, wie viel Österreich steckt denn überhaupt noch in Ihnen?

Ich glaube, weniger als in meinen Liedern. Ich komme aus einer großbürgerlichen Familie in Kärnten, bin gut behütet aufgewachsen auf einem Landschloss. Zum einfachen Volk gab es eine gewisse Distanz, deshalb ist es eigentlich verwunderlich, dass ich Unterhaltungskünstler geworden bin. Ich stand mehrmals kurz vor dem Scheitern, zehn Jahre lang. Weil ich die Leute nicht verstanden habe, oder sie mich nicht.

Was hat Ihnen denn gefehlt?

Ein Hauch von Underground. Heute ist man ja in der Unterhaltungsbranche nur noch glaubhaft, wenn man schon mal im Knast gesessen hat. Viele Rapper sind Helden, dabei kommen sie aus einer kaputten Welt. Manchmal frage ich mich: Was wollen die eigentlich den jungen Leuten mit ihren Ghetto-Liedern erzählen?

Man könnte Sie genauso gut fragen: Was wollen Sie eigentlich mit Ihren Unterhaltungsliedern erzählen?

Viele meiner Stücke handeln von Toleranz.

Das ehrenwerte Haus …

Ich versuche Vielfalt vorzuleben als europäischer Patriot, der die österreichische Heimat mag, aber ebenso selbstverständlich auch die italienischen Maler und die französischen Schriftsteller. Dieses Empfinden möchte ich an meine Landsleute weitergeben. Europa kann Identität verleihen. Mit Mauern und Zäunen gibt es keine Kultur, das habe ich schon früher bei meinen Konzerten in Ost-Berlin gemerkt. Kultur braucht offene Grenzen, einen toleranten Lebensgeist. Jetzt kann die Fußball- EM helfen, diesen Geist zu entwickeln.

Gehen Sie auch zum Spiel Österreich gegen Deutschland?

Ich weiß nicht so recht, für wen ich da sein soll. Ich habe große Sympathien für den deutschen Fußball, auch weil ich einige Freunde dort habe, etwa den Franz Beckenbauer. Wenn die jetzt gegen mein Österreich antreten, zerreißt es mich, schon weil ich traditionell zu den Außenseitern halte. Deshalb werde ich mir das Spiel gar nicht erst anschauen, sondern lieber etwas essen gehen. Die Zwischenstände lasse ich mir von Freunden per SMS schicken.

Das Gespräch führte Robert Ide.

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