zum Hauptinhalt
Deutsche Shorttrack-Königin. Anna Seidel will auch die olympischen Kurven meistern.

© Peter Kneffel/dpa

Deutschlands beste Shorttrackerin: Anna Seidel: Die mit dem Killerinstinkt

Die 19-Jährige hat sich auf einem Campingplatz auf Olympia vorbereitet. Am Samstag geht's über 1500 Meter gegen die Weltspitze, im April dann um das Abitur.

Ein Januarsonntag in Dresden. Auf einem Eislaufring an der Elbe flitzen sie übers Eis, aufgedrehte Kinder, ungelenke Väter, dazu Popmusik, Glühwein, die Sonne scheint. Ein kleines Wintersportidyll, das auch Anna Seidel kennt. Sie war hier früher öfter mit ihren Eltern, mittlerweile hat sie es in die Halle nebenan geschafft. Während auf dem Ring die Kinder vor Freude kreischen, zieht sie in der letzten Kurve in einem frechen Manöver an einer Konkurrentin vorbei. Am Ende holt sie die Bronzemedaille bei der Shorttrack-EM.

Anna Seidel, 19 Jahre, ist Deutschlands beste Shorttrackerin. Shorttrack ist jene flottere Form des Eisschnelllaufs, bei der nicht einzeln gestartet wird, sondern im Pulk. Die Runden sind kürzer (daher der Name), es wird gedrängelt, manchmal auch geschubst, was zu Überholmanövern führt, die spannender sind als die der Formel 1. Und zu Stürzen, bei denen die Sporttreibenden aufpassen müssen, sich nicht mit ihren Kufen aufzuschlitzen. Dagegen schützen sie sich mit einer Halskrause aus schnittfestem Material, Schienbeinschonern und einem Helm. Die Banden sind gepolstert, falls mal wieder einer abfliegt.

Legendär war das Olympische Herrenfinale 2002, als sich in der letzten Kurve alle Fahrer gegenseitig über den Haufen fuhren, bis auf den Australier Steven Bradbury, der schon zu weit abgehangen war, um in die Kalamität verwickelt zu werden, und sein Glück kaum fassen konnte, als er als Olympiasieger über die Ziellinie fuhr. Aber Shorttrack ist auch Eleganz und Flow. Die synchronen Bewegungen, die langen, geschmeidigen Schritte. Wenn sich die Athleten in die Kurven lehnen, sich mit einer Hand auf dem Eis stabilisieren, und dann auf einer Kufe um die Kurve gleiten – viel ästhetischer wird es nicht im Wintersport.

Seidel liebt die Duelle

„Man muss sehr viel mutiger sein als in anderen Sportarten, in denen man seine eigene Bahn hat“, sagt Anna Seidel. Sie liebt die Duelle, sich im Windschatten an die Konkurrentin heransaugen, im richtigen Moment überholen, die Mischung aus Geschwindigkeit und Taktik. „Man braucht den Killerinstinkt.“ Den hatte Anna Seidel schon ziemlich früh. Ihr Bruder wollte Eiskunstläufer werden. Als sie ihn manchmal vom Training abholte, sah sie, wie die Shorttracker aufs Eis gingen. Irgendwann ist sie einfach geblieben. Sie wurde schnell die Beste des Landes und startete schon mit 15 bei den Winterspielen in Sotschi. Sie kam bis ins Halbfinale und saß später auf der ZDF-Fernsehcouch von Katrin Müller-Hohenstein, mit Zahnspange und viel Unglauben.

Sieht Anna Seidel die Bilder heute, lacht sie. „Ich war da schon noch ein anderer Mensch“, sagt sie. „Damals war ich das kleine Kind, niemand hat etwas von mir erwartet, jetzt bin ich weiter.“ Sportlich, aber auch was die Außenwirkung angeht. An der Zahl der Instagram-Follower gemessen gehört sie zu den populärsten deutschen Wintersportlerinnen. Da hilft auch das ein oder andere Foto mit Schmollmund oder im Bikini.

In Pyeongchang wolle sie mindestens einmal unter die besten Zehn, sagt Seidel. Über 500 Meter war im Viertelfinale Schluss – an diesem Samstag über die 1500 soll es weiter nach vorn gehen. Doch die Konkurrenz ist groß. Eine Medaille bei einer Europameisterschaft wie im Januar in Dresden bedeutet nicht viel. Europa ist im Shorttrack etwa so nahe an Gold, Silber oder Bronze wie Deutschland im Sumo. Keine einzige Olympiamedaille ging seit Einführung der Sportart 1992 in Albertville nach Europa. Dagegen räumen die Asiaten ab, allen voran die Südkoreaner.

Südkoreanische Domäne

Auf diese Winterspiele bereitete sich Anna Seidel in Holland vor, 700 Kilometer von Dresden entfernt. In Deutschland gibt es keinen geeigneten Trainer. Der Vertrag mit dem alten Bundestrainer wurde aufgelöst, ein neuer nicht so schnell gefunden, die Stellenausschreibung steht sogar noch im Netz. Die Junioren-Trainerin Diana Scheibe, die nach dem Ausfall des Bundestrainers auch die Senioren übernommen hatte, ist in Elternzeit. Vor Olympia standen die deutschen Shorttracker ohne Trainer da.

In Holland erbarmte sich Wilma Boomstra, eine Privattrainerin aus Utrecht, unter einer Bedingung: Die Deutschen müssten zu ihr kommen. Und so zog eine sechsköpfige Shorttrack-Reisegruppe im August einfach um. Weil der deutsche Verband keine geeignete Wohnung fand, lebten die Sporttreibenden in Bungalows auf einem Campingplatz. Wenigstens lief die Heizung, sagt Anna Seidel. Im Winter sei das Leben auf einem Campingplatz zwar mitunter etwas einsam, aber es gab ja noch ein paar Dauercamper und an der Rezeption saß auch meist jemand, mit dem man reden könne, sagt sie. „Das ist schon etwas anderes als in der Stadt. Für mich ist es manchmal hart, aber wir können uns wenigstens auf den Sport konzentrieren.“ Nicht nur allerdings: Im April steht für Anna Seidel das Abitur an. Noch so ein Saisonhöhepunkt.

Christian Spiller

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false