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Sport: Die herausgeschundene Hoffnung

Nach dem 2:4 beim FC Chelsea sind sich die Münchner uneins über ihre Chancen im Rückspiel

Kurz vor Schluss rollte ein zweiter Ball auf das Feld und blieb knapp neben dem Mittelkreis liegen. Der gut beleibte Schiedsrichter René Temmink ließ nonchalant, aber regelwidrig weiterspielen, obwohl um das eigentliche Spielgerät gerade in unmittelbarer Nähe gekämpft wurde. Chelseas Forssell nahm sich schließlich nach einer halben Ewigkeit ein Herz und beförderte den überflüssigen Ball ins Aus.

Eine Szene mit Symbolik bei der mehr oder minder desaströsen 2:4-Niederlage des FC Bayern an der Stamford Bridge? Anscheinend. „Wir haben heute den zweiten Ball nicht bekommen“, analysierte Willy Sagnol die Gründe für die Niederlage, „so schlecht waren wir in den letzten drei, vier Monaten noch nie.“ Für Robert Kovac, der ausgerechnet an seinem 31. Geburtstag eine indiskutable Leistung abgeliefert hatte, war die Sache mit dem zweiten Ball ebenfalls entscheidend gewesen: „Er kam immer genau zum Gegner, und der war dann immer noch genauso frei.“

Der ominöse „zweite Ball“ beschreibt in Wahrheit nämlich eine für den britischen Fußball urtypische Spielsituation: Wenn nach weiten Flanken vor das gegnerische Tor der Ball abprallt, kommt es darauf an, diesen zu bekommen. Dem Münchner Mittelfeld, in dem sich für den gesperrten Martin Demichelis in Torsten Frings und Owen Hargreaves gleich zwei defensive Spieler auf den Füßen standen, gelang dieses elementare Manöver überhaupt nicht – die ersten drei Treffer erzielten die auch ohne ihren Trainer José Mourinho kraftvoll und taktisch meisterlich aufspielenden Gastgeber allesamt nach verunglückten Abwehraktionen.

Als Karl-Heinz Rummenigge kurz vor Mitternacht davon sprach, dass man „fußballerisch“ mit den Gastgebern hatte „mithalten“ können, stimmte das nur, weil Chelsea früh gemerkt hatte, dass es gegen diese Bayern auch mit simplem „Kick and rush“ ging; um gekonnte Kombinationen bemühten sie sich erst gar nicht.

Die Verunsicherung, die von den schwachen Innenverteidigern ausging, hatte dramatische Folgen. Nach vorne lief ohne Roy Makaay und Claudio Pizarro wenig. Besonders Ze Roberto führte mit seinen lachhaften Dribblings das neuerliche Vertragsangebot der Münchner ad absurdum. Und das Wunder, das im Olympiastadion dringend nötig sein wird, hatte sich in Wahrheit schon in London ereignet. Anders war kaum zu erklären, wie der an seine Grenzen gestoßene Rekordmeister zu zwei Auswärtstoren gekommen war.

„Unerwartet große Probleme mit dem zweiten Ball“, hatte auch Felix Magath gesehen. „Ich gehe davon aus, dass uns das nicht noch einmal passieren wird“, sagte der Trainer mit trotzigem Optimismus. Beim Rückspiel am Dienstag müssen die Münchner das Kunststück fertigbringen, Chelsea als erste Mannschaft in dieser Saison mit zwei Toren Unterschied zu schlagen. Dank Michael Ballacks gewieft herausgeschundenem und sicher verwandeltem Elfmeter in der Nachspielzeit ist diese Hoffnung überhaupt noch vorhanden. „Das zweite Tor hat die Tür zum Halbfinale geöffnet“, sagte Rummenigge. Vom berühmten „Fünkchen Hoffnung“ wollte Uli Hoeneß nichts wissen, gleich „einen Riesenfunken“ nahm der Manager im Herzen mit nach München zurück: „Wir müssen einen Sturmlauf starten, dass die Wände wackeln. Wir müssen die niedermachen – das schaffen wir noch.“

Vorsichtiger drückte sich Felix Magath aus: „Wenn man kurz vor Schluss so eine Möglichkeit bekommt, ist das ein Zeichen. Das müssen wir nutzen. Wenn wir in München ein Tor machen, geht beim Gegner die Angst los.“ Für den leicht resignierten Willy Sagnol allerdings belaufen sich Bayerns Chancen auf ein Weiterkommen auf „10 bis 30 Prozent. Wenn man Optimist ist, vielleicht auf 50 Prozent.“ So hört sich Hoffnung an. Glaube nicht.

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